Die Séance
vorgehabt.
Aber er tat es nicht.
Aus irgendeinem Grund ertappte er sich plötzlich selbst dabei, die Straße hinunterzufahren, die zu einem der größten Friedhöfe in der Gegend führte.
Beau Kidd ist hier begraben worden. Seine Eltern und seine Schwester, aufgebracht darüber, dass Beau ohne Prozess als Mörder abgestempelt wurde, hatten einen sehr schönen Grabstein für ihn anfertigen lassen. Mit einem wunderbaren Engel obenauf, der im Gebet kniete.
Es wurde schon dunkel, als er sein Ziel erreichte, und die Tore waren bereits geschlossen, aber der Friedhof war einer der ältesten in der Gegend. Hier konnte man noch verwitterte Grabsteine finden, mit den Namen von Verstorbenen, die bis zurück zu den Seminolenkriegen datierten. Niemand hatte je das Geld für einen hohen Zaun ausgeben wollen, deshalb konnte Jed leicht über die niedrige Mauer klettern. Er kannte sich auf diesem Friedhof gut aus. Zu gut, dachte er.
Margaritte lag auch hier begraben.
Aber er war nicht gekommen, um an ihrem Grab zu trauern oder sich selbst zu bemitleiden. Nicht heute Nacht.
Langsam wurde er sonderlich, gab er zu. Einen Friedhof aufzusuchen, als ob Beau Kidd aus dem Grab zu ihm sprechen und ihm seine Mithilfe anbieten könnte.
Nein, sagte er sich selbst. Er hatte einfach bloß beschlossen, mal nach dem Grabmal zu sehen, das war alles. In den Jahren nach den Morden und Kidds eigenem Tod war der Grabstein mehrere Male geschändet worden. Dann war Beau Kidds Mutter im Fernsehen erschienen und hatte so tränenreich darum gebeten, das Grab in Frieden zu lassen, dass der Vandalismus aufhörte. Keine Aufforderung der Behörden, nicht einmal Festnahmen hatte es geschafft, die Schmierereien und Beschädigungen zu stoppen; ihr leises Schluchzen schon.
Er konnte den Engel bereits sehen, als er den Weg hinunterschritt. Was ihn überraschte, war, er war nicht der Einzige, der heute Abend Beau Kidds Grab besuchen wollte.
Eine junge Frau stand daneben. Er runzelte die Stirn, dachte für einen Augenblick, es könnte sich bei ihr um Christina Hardy handeln. Auch diese Frau hatte langes rotes Haar, und sie war groß, schlank und wohlgeformt, mit eleganter, aufrechter Haltung.
Aber als sie Jeds Schritte hörte und sich umdrehte, erkannte er, dass sie ganz anders aussah als Christina, obwohl auch sie sehr attraktiv war. Zum Beispiel waren ihre Augen von einer blassen gelb-grünen Farbe, nicht leuchtend blau.
Er erkannte sie nicht, aber sie ihn ganz offensichtlich schon.
“Was wollen Sie hier?”, schnappte sie.
“Kennen wir uns?”, fragte er knapp.
“Katherine Kidd, die Schwester von Beau.”
“Wir sind uns nie begegnet.”
“Nein? Ich weiß trotzdem, wer Sie sind. Ein Opportunist. Sie haben ein Buch über meinen Bruder geschrieben. Als wenn alles nicht schon entsetzlich genug wäre.”
“Ich habe lediglich einen Roman geschrieben.” Warum sich verteidigen? Er sollte sie einfach auf ihm herumhacken lassen. Das könnte sich als das Beste für sie beide erweisen.
“Warum sind Sie hier? Wollen Sie meinem Bruder einen Pfahl ins Herz treiben? Glauben Sie etwa, er sei noch am Leben und wieder unterwegs?”
“Es tut mir leid. Ich gehe wieder.”
Er drehte sich um.
“Wenn Sie sich verlaufen haben, das Grab von Ihrer Frau ist ganz woanders”, rief sie ihm nach.
Er straffte die Schultern und ging weiter.
“Warten Sie!”
Er war verblüfft, als sie hinter ihm her rannte. Ihre Augen wirkten besorgt, als sie ihn unbeholfen am Arm berührte, damit er sich zu ihr umdrehte. “Warum sind Sie hier?”, verlangte sie zu wissen.
Er zögerte. “Ich weiß es selber nicht genau. Ich schätze … Ich wollte bloß nachdenken. Ehrlich, ich weiß es nicht.”
“Beau ist nicht der Mörder gewesen”, sagte sie.
“Wie können Sie da so sicher sein?”, fragte er.
“Er war mein Bruder.”
Er ließ einen leisen Seufzer hören. “Sie wissen aber schon, dass jeder wahnsinnige Mörder der Sohn irgendeiner Mutter ist?”
“Ich weiß, Sie haben Nachforschungen angestellt, als Sie Ihr Buch geschrieben haben. Ich weiß, Sie waren mal Polizist. Und ich weiß, dass Sie jetzt eine Lizenz als Privatdetektiv haben. Sie sind hierhergekommen, weil Sie sich schuldig fühlen, wegen all dem, was Sie meinem Bruder angetan haben. Wollen Sie eine Absolution? Schön. Beweisen Sie, dass da draußen nicht bloß ein Nachahmungstäter unterwegs ist. Beweisen Sie, dass Beau unschuldig war.”
Er starrte sie an, ihm fiel nichts ein, was er sagen
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