Die Séance
Ana.
Christina wandte sich ihrer Freundin überrascht zu. Ana wirkte ganz durcheinander.
Sie stiegen aus dem Wagen, sahen sich um, dann sahen sie sich an, gaben beide stumm zu, dass sie etwas nervös waren. Aber die Nacht war klar und wunderschön; keine Spur von dem Nebel, der letzte Nacht alles eingehüllt hatte.
Christina schloss die Tür auf, und sie betraten das Haus. “Willst du einen Tee oder so was?”, fragte sie.
“Wir haben doch gerade erst gegessen”, sagte Ana und gähnte. “Ich gehe schlafen.”
“Klingt gut.”
Christina bemerkte, dass Ana, nachdem sie erst mal im Haus waren, keine Angst mehr zu haben schien, aber sie selbst fühlte sich wieder genauso unwohl wie vorhin. Sie überzeugte sich davon, dass die Tür zum Keller verriegelt war, und stellte noch einen Stuhl unter die Klinke, nur zur Sicherheit.
“Ich geh nach oben”, rief Ana.
“Prima. Such dir ein Zimmer aus.”
“Mir ein Zimmer aussuchen? Du rollst schön zu Seite, Süße. Ich schlafe bei dir.”
“Zum Glück nimmst du nicht viel Platz weg”, neckte Christina.
Sie ging zur Kaffeemaschine, um den Timer für nächsten Morgen einzustellen, und in diesem Augenblick erstarrte sie.
Das hatte schon jemand getan.
Der Timer war auf halb acht gestellt, das Lämpchen leuchtete.
Hatte sie den Verstand verloren? Machte sie das alles selbst und merkte es gar nicht mehr?
Sie holte Omas altes Nudelholz aus einem Schrank und das Pfefferspray aus ihrer Handtasche. Methodisch, und ganz allein, suchte sie unten alles ab.
Nichts.
Niemand.
Nichts, das nicht an seinem Platz war.
Immer noch bewaffnet, schritt sie die Stufen hoch und ging oben durch alle Zimmer außer ihrem eigenen, blickte in jeden Schrank und unter jedes Bett. Obwohl sie merkte, dass sie zitterte, beschloss sie, auch auf dem Dachboden nachzusehen.
Ana – schon gemütlich in einen von Christinas Pyjamas gehüllt – kam in den Flur, gerade als sie die Leiter herunterzog.
“Was machst du denn da?”, wollte sie wissen.
“Der Timer der Kaffeemaschine war schon an”, sagte Christina. “Jemand ist hier gewesen.”
Ana schnitt eine Grimasse. “Christina, kein Mensch bricht irgendwo ein, um den Timer der Kaffeemaschine einzustellen. Das bist du bestimmt selbst gewesen und hast es vergessen.”
“Nein, hab ich nicht.”
Sie stieg die Leiter hoch und merkte, dass Ana direkt hinter ihr war. “Was soll das denn?”, wollte sie wissen.
“Du lässt mich hier unten nicht alleine”, sagte Ana.
“Dir passiert schon nichts”, versprach Christina. “Ich habe unten alles abgesucht und den Keller verriegelt, und hier oben bin ich in allen Zimmern gewesen. Bleibt nur noch der Dachboden.”
“Trotzdem lässt du mich nicht alleine”, insistierte Ana.
Sie stiegen die Leiter hoch, Ana immer auf Christinas Fersen. Christina fand den Lichtschalter und sah sich um. Der Dachboden sah genauso aus wie immer.
“Hier ist keiner, Christina”, sagte Ana. “Vielleicht könnte es nicht schaden, wenn du mal zu einem Therapeuten gehst. Vielleicht funktioniert dein Kurzzeitgedächtnis nicht mehr.”
“Das ist es nicht”, beharrte Christina starrköpfig. Aber was sollte es sonst sein?
“Christie, Diebe brechen nicht ein, bloß um Sachen herumzuschieben und den Kaffee für dich vorzubereiten”, sagte Ana zurückhaltend.
“Na ja, dann lass uns jetzt mal eine Mütze Schlaf nehmen”, schlug Christina entschlossen vor, Anas unwiderstehliche Logik ignorierend.
Ana kicherte. “Wenn es hier einen Geist gibt, der dir Kaffee kocht, dann will ich auch so einen haben.”
Christina stöhnte. “So was kann ich von dir jetzt überhaupt nicht brauchen, okay? Dass du ja kein einziges Wort darüber verlierst. Versprich mir das, augenblicklich.”
“Schon gut. Meine Lippen sind versiegelt.” Ana zögerte. “Können wir mit dem Fernseher eingeschaltet schlafen?”
Ein paar Minuten später lagen sie im Bett, das Licht im Flur und im Bad noch an. Im Fernseher lief ein Sender, der vierundzwanzig Stunden nur Sitcoms brachte.
Ana war schnell tief und fest eingeschlafen. Christina sah fern, bis sie ebenfalls langsam einnickte.
Dann fing es wieder an.
Dieses Gefühl.
Das Gefühl, dass irgendjemand im Zimmer war. Am Fuß ihres Betts stand.
Und sie beobachtete.
Öffne die Augen.
Nein!, dachte sie und ignorierte, was bloß in ihrer Vorstellung passieren musste.
Christie … bitte, hilf mir
…
Sie öffnete die Augen.
Das Zimmer war dunkel, merkwürdige Kontraste von Licht und
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