Die Séance
nicht einmal schreien, weil ein Knebel in ihrem Mund steckte.
Plötzlich hörte sie Schritte. Leichtfüßige Schritte, die sich näherten …
Entsetzen überwältigte sie, denn sie wusste, was passieren würde. Wusste es …
Sie wollte fliehen. Sie musste fliehen.
Christina.
Beau Kidd rief nach ihr. Sie erkannte seine Stimme.
Hilf mir. Hol mich hier raus, flehte sie.
Meine Hand, nimm meine Hand …
“Christina?”
Sie erwachte und erblickte Jed neben sich, der sie sorgenvoll betrachtete.
Die Lampe auf ihrem Nachttisch war noch an, so wie immer, und sie konnte sein Gesicht sehen. Die Vitalität und Hitze seines Körpers spüren, die Kraft, die in seinen kleinsten Bewegungen schlummerte. Das Leben in ihm.
“Hey”, sagte er und berührte sanft ihr Gesicht. “Ein Albtraum?”
Der Traum begann schon sich in Wohlgefallen aufzulösen, sie konnte sich kaum noch an Details erinnern.
Nicht dass es überhaupt viel zu erinnern gegeben hätte. Sie hatte nichts gesehen, niemanden gesehen. Sie hatte bloß etwas gespürt, ihr Gehirn hatte ihr etwas vorgemacht.
Sie drückte sich an ihn, ganz sicher in seinen starken Armen. “Vermutlich”, murmelte sie.
“Die haben wir alle manchmal”, meinte er.
“Du hast Albträume?”
Er zögerte, bevor er sagte: “Manchmal erleben wir unsere Albträume im richtigen Leben.”
Sie amtete aus, beobachtete die Schatten, die über sein Gesicht huschten. “Und manchmal müssen wir lernen, sie loszulassen”, sagte sie sanft zu ihm.
Langsam begann er zu lächeln, strich ihr Haar zurück. “Alles wieder in Ordnung?”
Sie nickte. Und natürlich war wieder alles in Ordnung. Es ist bloß ein Albtraum gewesen. Das bedeutete gar nichts.
Warum spürte sie dann plötzlich eine solche Furcht? Vor einer Gefahr, die irgendwo im Dunkeln auf sie lauerte?
14. KAPITEL
C hristina erwachte und stellte erleichtert fest, dass Jed schon aufgestanden und, laut der Nachricht, die er ihr hinterlassen hatte, losgegangen war, um sich mit Jerry zu treffen. Sie duschte schnell, zog sich an und dachte darüber nach, wie erstaunlich es war, so etwas zu fühlen, wo sie doch fast ihr ganzes Leben lang wenigstens ein bisschen in Jed Braden verliebt gewesen war. Sie war dankbar, dass er hier gewesen war, aber es gab auch Gefahren, bei denen nicht mal er ihr beistehen konnte.
Zum Beispiel jene, die in ihrem eigenen Kopf lauerten.
Oder die Tatsache, dass sie einen Geist sehen konnte.
Und nun … was? Spürte sie jetzt etwa, was die Opfer gefühlt hatten?
Unten hatte Adam Harrison bereits Kaffee gemacht. Er saß in dem Sessel im Salon, die Kiste mit Zeitungsausschnitten neben sich. “Morgen”, sagte er.
Sie sah sich um. Im Salon war es ruhig. “Haben Sie … Beau gesehen?”, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. “Tut mir leid. Genevieve könnte ihn vielleicht sehen, aber manchmal … nun, es ist wirklich seine eigene Entscheidung. Deshalb müssen wir ja diese Séance abhalten”, sagte er. “Manchmal erscheinen Geister nur ganz bestimmten Menschen, und aus ganz bestimmten Gründen. Andere Geister erscheinen mehreren Leuten oder sind sogar für alle sichtbar.” Er lächelte wehmütig. “Das ist keine exakte Wissenschaft. Beau könnte sich plötzlich unwohl fühlen, wo das Haus auf einmal so voll ist.”
Letzte Nacht hat er jedenfalls keine Schwierigkeiten gehabt, aufzutauchen und sie daran zu erinnern, dass er ihre Hilfe brauchte, dachte sie. Er hatte in dem Stuhl in ihrem Schlafzimmer gesessen und darauf bestanden, dass sie an Jed alle Informationen weitergibt, die er ihr verraten hatte. Aber als sie ihn beschwörend angesehen und leise angefleht hatte … da war er verschwunden.
Jetzt am hellen Tag verfestigte sich ihr Zorn. Er tauchte immer wieder auf, um sie zu erschrecken, zu verwirren und sie dazu zu bringen, mit dem Nichts zu reden, damit Jed annehmen musste, sie wäre wirklich verrückt. Um bei ihr entsetzliche Albträume zu verursachen … und dann zu verschwinden, ohne etwas Nützliches mitgeteilt zu haben.
Thor und Genevieve kamen herein. “Guten Morgen”, sagte Thor.
“Wunderschöner Tag, nicht wahr?”, sagte Genevieve fröhlich.
“Kaffee schon fertig?”, fragte Thor.
Alles hätte ganz normal sein können. Nur dass Genevieve, als Thor ging, um für sich und seine Frau Kaffee zu holen, mitten im Salon sehr still stehen blieb.
“Ist irgendwas?”, hörte Christina sich hoffnungsvoll fragen.
Genevieve seufzte. “Ja … und nein. Ich spüre irgendetwas, aber …”
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