Die Seele der Elben
plappernden Winzling mit einem entnervten: »Halt den Mund! Und jetzt haut ab, alle beide! Ich will alleine sein!«
Gustav starrte ihn mit offenem Mund an. »Was hat er denn?«, fragte er den Wurdelak.
»Er ist beschäftigt.« Phelan machte eine zweideutige Geste, und Gustav lachte meckernd.
Lluis riss nun endgültig der Geduldsfaden. »Ab, marsch, ab ins Haus mit euch. Verzieht euch. Husch, husch!« Er packte Phelan rechts und Gustav links und zerrte sie ein Stück des Wegs hinunter. Die beiden protestierten lachend, gaben aber schlieÃlich auf und verschwanden unter Gelächter und anzüglichen Bemerkungen.
Lluis schnaufte und lief zur Laube zurück. »Sie sind weg«, sagte er, als er eintrat. »Endlich!«
Es kam keine Antwort, und als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass die Laube leer war. Nur ein Hauch von Rosenduft verriet ihm, dass jemand hier auf ihn gewartet hatte, und als er sich enttäuscht auf die Bank niedersinken lieÃ, ertasteten seine Finger ein zerdrücktes kleines SträuÃchen. Traurig nahm er es auf, roch daran und barg es sorgsam an seinem Herzen.
Raakus, Drachenmond, im zweiten Register
nach dem GroÃen Regen, Jahr des Luchses
Ranvidar holte mich vor dem ersten Morgengrauen ab. Ich war schon lange wach â allmählich schien Marisâ Schlaflosigkeit auf mich abzufärben â und saà mit meinem Bündel auf der kleinen Truhe am Fenster, von der aus ich den Sonnenaufgang sehen konnte. Nun gut, diesen speziellen Sonnenaufgang würde ich von einer sehr viel exponierteren Position betrachten können â hoch über dem höchsten Turm des Bardensteins, auf dem Flug zur Residenz.
»Fertig, Kleiner?«, fragte Ranvidar, die den Kopf durchs Fenster steckte. Ich nickte, hängte mir mein Bündel um und kletterte auf die Truhe, um auf ihren Rücken zu gelangen. Ich setzte mich zurecht, während sie aufstieg, und fragte: »Wo sind unsere Reisegefährten?«
»Kommen gleich«, rief die Adlerfrau, während sie an Höhe gewann. »Gurmendor und der Barde streiten sich noch darüber, wer steuern darf.«
Wir kreisten im warmen Aufwind, bis sich endlich unter uns die Silhouette eines anderen groÃen Adlers von dem alten Gemäuer löste. Dann war Gurmendor neben uns, und ich staunte. Ranvidar, die ich immer für ein kräftiges Exemplar ihres Volkes gehalten hatte, war neben diesem weiÃköpfigen Adlermann so klein und zierlich, wie ich für andere Augen neben Maris Elbenstern erscheinen musste. Er trug den Barden wie ein Kind auf seinem Rücken, und Maris hielt den Kopf hoch erhoben, sein weiÃes Haar flatterte im Wind. Ich sah, wie seine Hände sich in Gurmendors Federn krallten, und empfand Mitleid für ihn. Was musste es für ein Gefühl sein, aus der friedlichen Finsternis seines Turmgemachs und der staubigen Stille der Bibliothek plötzlich hineingeworfen zu sein in das Zerren und Toben der Lüfte und zu wissen, dass der sichere Erdboden so viele Manneslängen unter seinem zerbrechlichen Körper wartete.
»Hat dich keiner deiner Vögel begleitet?«, schrie ich zu ihm hinüber.
Maris wandte mir den Kopf zu. »Nein«, formten seine Lippen. »Angst.«
Ich verstand. Die riesigen Adler versetzten kleinere Vögel in Angst und Schrecken â es war Maris nicht gelungen, einen seiner Gefährten so weit zu beruhigen, dass er ihn auf seiner Reise begleitete und ihm das Licht seiner Augen schenkte.
Ich formte meine Hände zu einem Trichter und rief: »Was ist mit Gurmendors Augen?«
Der groÃe Adler wandte den Kopf und sah mich mörderisch an. Ich schrak zurück. »Entschuldigung. Das war wohl eine dumme Frage«, sagte ich kleinlaut. Der Adler hatte mich anscheinend gehört, denn er senkte kurz den Schnabel und blickte wieder geradeaus.
»Er ist ein alter Griesgram«, hörte ich Ranvidar wispern. Auch sie schien gehörigen Respekt vor dem Riesen zu haben. »Wenn ich mir vorstelle, den ganzen Weg mit ihm fliegen zu müssen â wie öde!«
Auf dieser Reise gab es keine wilden Gesänge und keine kleinen Abstecher, um irgendwelche Bauernkarren zu durchsuchen. Wir flogen ohne Unterbrechung und gröÃtenteils schweigend Richtung Nordwesten. Die Sonne ging irgendwo hinter meinem Rücken auf, wie ich an der Färbung des Himmels und den morgendlich strahlenden Farben der
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