Die Seele der Elben
»Was soll ihm denn passiert sein?«
Seine Hand bewegte sich unruhig über den Stoff seiner Tunika und griff dann wieder beinahe haltsuchend nach der MantelschlieÃe. »Ich glaube, dass ihm etwas begegnet ist, das nur Elben zustoÃen kann«, sagte er ausweichend.
Vanandel musste an sich halten, um ihn nicht zu schütteln. »Ist es gefährlich?«, fragte sie. Was für eine dumme Frage, Maris war erblindet durch â was auch immer es war.
Er antwortete nicht. »Maris!«, sagte sie drängend. »Ich muss es wissen.«
Er seufzte. »Das ist sehr schwer zu sagen. Er könnte daran sterben. Oder, noch schlimmer â¦Â«
» Noch schlimmer?«, rief Vanandel. »Wie kann etwas schlimmer sein als der Tod?«
Die Taube flog erschreckt von seiner Schulter, und er wandte sein blindes Gesicht ab. »Du solltest das nicht fragen«, sagte er. »Ich bin einer der Glücklichen, mich hat es nur mein Augenlicht gekostet und von all denen getrennt, die ich geliebt habe.«
Vanandel griff nach seinem Arm. »Was können wir tun?«, fragte sie energisch. »Maris, ich sitze nicht hier herum und warte darauf, dass irgendetwas Schreckliches mit Lluis geschieht. Du musst mir alles erzählen, was ich darüber wissen muss, und dann werden wir uns etwas überlegen.«
Er schüttelte den Kopf. »Lass mir ein wenig Zeit, darüber nachzudenken. Und mach dir keine Sorgen, er wird nicht heute oder morgen tot umfallen. Wenn es das ist, was ich vermute, dann bleibt uns immer noch Zeit genug, um ihn von hier fortzubringen.«
Vanandel fühlte sich durch diese Worte nicht im Mindesten beruhigt. Sie schauderte. Maris spürte es, schlüpfte aus seinem Umhang und legte ihn ihr um die Schultern. Vanandel wunderte sich, wie geschickt und zielsicher er das tat, obwohl sein derzeitiges Augenpaar weit weg in irgendeinem Baum hockte.
»Danke«, sagte sie leise. »Ich friere nicht, Maris. Ich fürchte nur um Lluis.«
Er legte kurz und fest den Arm um ihre Schulter, aber seine Miene brachte ihr keine Beruhigung.
Sie saÃen schweigend nebeneinander, bis der Haushofmeister winkend und niesend auf dem Kiesweg herankam. »Hoheit«, keuchte er, »Ihr Vater verlangt nach Ihnen.«
Vanandel stand auf und gab Maris seinen Umhang mit einem leisen Dank zurück. »Kommst du nachher zum Ball?«, fragte sie.
Er stand da, den Blick über ihren Kopf gerichtet, und lächelte. »Ich hoffe, dass ich einen Begleiter finde. Aber ich werde kommen.«
Sie folgte Herrn Anselm, der sie zwar neugierig musterte, aber nichts weiter sagte. Ihre Gedanken waren bei Lluis und dann wieder bei dem Elbenbarden. Was war den beiden zugestoÃen? War es eine Krankheit, unter der nur Elben litten? Elben wurden nicht krank, soweit sie wusste. Vanandel seufzte lautlos und vertrieb jeden Gedanken an Elben und speziell an Maris Elbenstern aus ihrem Kopf. Sie musste sich auf ein langweiliges Beisammensein mit ihrem Vater und ihren zukünftigen Verwandten gefasst machen.
»Herr Anselm«, sagte sie impulsiv, »entschuldige mich, ich muss kurz noch einmal meine Gemächer aufsuchen.« Sie deutete entschuldigend auf ihre Taille. »Da hat sich gerade etwas gelöst, meine Zofe muss mir helfen.«
Der Haushofmeister machte eine kleine Verbeugung und versprach, ihren Vater und seine Gäste von der Verzögerung zu unterrichten, dann wieselte er davon.
Vanandel sah ihm erleichtert nach, dann machte sie kehrt und lief ins Haus.
Er war da, der Tag der Verlobung. Lluis hatte geglaubt, dass die Aufregung der letzten Tage nicht mehr übertroffen werden konnte â aber dieser atemlose Morgen hatte ihn schon eines Besseren belehrt. Doch jetzt war die Tafel für den Mittag gedeckt, die Vorbereitungen für den Tee waren getroffen, das Bankett und der Ball vorbereitet â und ein erschöpfter Kellerer hatte ihm erlaubt, sich für eine kurze Verschnaufpause zurückzuziehen.
Er hockte also auf der Brunneneinfassung im Inneren Hof und aà ein Käsebrot. Die Küche war heute für alle Bediensteten kalt geblieben, die Köchin und ihre Mädchen hatten alle Hände voll mit dem Essen für die Gäste zu tun und keine einzige mehr frei, um das Personal zu versorgen.
Lluis schloss die Augen und genoss den kleinen Moment der Ruhe. Schritte näherten sich, gingen vorüber, hielten inne und kehrten zurück. Lluis öffnete resigniert die Augen,
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