Die Seele des Feuers - 10
kollektives Aufstöhnen ging durch die Menge. Bertrand ließ ihnen keine Zeit zum Nachdenken.
»Schlimmer noch, wegen dieser nach außen abgeschirmten Gilde, deren geheime und unnötig strenge Anforderungen nur wenige erfüllen, liegen die für das Volk Anderith anfallenden Kosten der durch sie ausgeführten öffentlichen Bauvorhaben erheblich höher, als würde man arbeitswillige Männer arbeiten lassen.« Der Minister schüttelte drohend seine Faust. »Diese unerhörten Kosten tragen wir alle!«
Direktor Linscott war fast violett vor unterdrücktem Zorn.
Aus Bertrands geballter Faust löste sich ein Finger, den dieser auf die Menge richtete.
»Das ungeheure Fachwissen des Steinmetzes sollte zweifellos Verwendung finden. Dank dieses neuen Gesetzes jedoch wird es darüber hinaus möglich sein, den ganz gewöhnlichen Arbeiter unter der Aufsicht der Steinmetze zu beschäftigen, deren Kinder dann keinen Hunger mehr erleiden müßten, nur weil ihre Väter arbeitslos sind.«
Zur Unterstreichung jedes einzeln angeführten Punktes schlug der Minister mit der Faust in seine Hand.
»Ich rufe die Direktoren der Gesellschaft für Kulturelle Zusammenarbeit auf, uns jetzt durch Handzeichen ihre Unterstützung für die Einstellung hungernder Menschen zu bekunden, ihre Unterstützung für die Regierung, die endlich in der Lage sein wird, Vorhaben zu einem angemessenen Preis zu Ende zu führen, indem sie arbeitswillige Menschen einstellt und nicht bloß die Mitglieder einer geheimen Gesellschaft von Steinmetzen, die ihre eigenen Wucherpreise festsetzt, für die wir alle geradestehen müssen! Ich bitte um Eure Unterstützung für die Kinder! Um Eure Unterstützung für das ›Winthrop-Gesetz für gerechte Arbeitsverhältnisse!‹«
Direktor Linscott sprang auf. »Ich protestiere gegen eine solche Abstimmung durch Handzeichen! Wir hatten noch nicht einmal Gelegenheit…«
Er verstummte, als er den Herrscher die Hand heben sah.
»Falls die anderen Direktoren uns ihre Unterstützung bekunden möchten«, sprach der Herrscher mit klarer Stimme in die Stille hinein, »dann sollten die hier Anwesenden dies wissen, damit niemand falsches Zeugnis ablegen kann vom aufrichtigen Willen eines jeden Mannes. Es kann nicht schaden, die Meinung der Direktoren einzuholen, solange sie alle anwesend sind. Eine Abstimmung per Handzeichen ist noch nicht das letzte Wort und entzieht die Angelegenheit, bevor sie zum Gesetz wird, keinesfalls der Diskussion.«
Die Ungeduld des Herrschers hatte den Minister soeben unbewußt vor der Notwendigkeit bewahrt, eine Abstimmung zu erzwingen. Es war zwar richtig, daß eine Abstimmung das Gesetz nicht endgültig machen würde, ein sich durch die Gilden und sämtliche anderen Berufsstände ziehender Riß hätte in diesem Fall jedoch genau dies zur Folge.
Dalton mußte nicht lange auf das Handzeichen der anderen Direktoren warten. Für die Gilden kam das durch den Minister verkündete Gesetz einem Todesurteil gleich, und der Minister hatte sie alle soeben das Aufblinken der Henkersaxt sehen lassen.
Den Grund würden sie zwar niemals erfahren, dennoch war allen Direktoren klar, daß man es auf einen aus ihren Reihen abgesehen hatte. Nur vier der Direktoren waren Gildenmeister, trotzdem waren die anderen nicht weniger angreifbar. Möglicherweise kürzte man den Geldverleihern den erlaubten Zins oder verbot diesen sogar ganz, möglicherweise änderte man den Kaufleuten ihre Handelspräferenzen und -wege, möglicherweise setzte man die Gebühren der Rechtsbeistände und Anwälte per Gesetz auf eine Höhe fest, die sich sogar Bettler leisten konnten. Kein Stand war vor einem neuen Gesetz sicher, hatten die ihm Angehörigen erst einmal das Mißfallen des Ministers erregt.
Verweigerten die anderen Direktoren in dieser Angelegenheit dem Minister ihre Unterstützung, konnte sich die Klinge gegen ihre Gilde oder ihren Stand richten. Der Minister hatte eine öffentliche Abstimmung per Handzeichen und keine Geheimabstimmung gefordert, was darauf hindeutete, daß sich die Axt nicht auf sie niedersenken würde, vorausgesetzt, sie spielten mit.
Claudine sank auf ihren Stuhl. Ihr war die Bedeutung ebenfalls bewußt. Früher war es Männern nur dann erlaubt, den Beruf des Steinmetzes auszuüben, wenn sie Mitglied der Steinmetzgilde waren. Die Gilde legte Ausbildung, Vorgaben und Preise fest, schlichtete in Streitfällen, teilte die Arbeiter je nach Bedarf den verschiedenen Aufträgen zu, kümmerte sich um verletzte oder
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