Die Seele des Feuers - 10
seine Pläne gleichzeitig und in vollem Umfang durchführen konnte. Es würde bedeuten, dass er alle nötigen Maßnahmen ergreifen konnte, ohne sich um die Reaktionen oder gar Vergeltungsmaßnahmen von Lord Rahl sorgen zu müssen.
Noch besser, Lord Rahl und die Mutter Konfessor wären gezwungen, einen noch größeren Teil ihrer Hoffnungen auf die Abstimmung zu setzen, während Dalton gleichzeitig, ohne ihr Vorgehen befürchten zu müssen, ihre Niederlage sicherstellte.
Vorausgesetzt, es stimmte, dass die Magie versiegte.
Dalton wusste einen Weg, das herauszufinden.
Aber zuerst war es an der Zeit, dem kränkelnden Herrscher einen Besuch abzustatten. Die Zeit zum Handeln war gekommen. Er würde es noch diesen Abend tun, vor dem für den nächsten Tag angesetzten Fest.
So hungrig Ann auch war, sah sie dem Gefüttertwerden keinesfalls mit Freude entgegen.
Es war lange her, dass man sie am Boden angepflockt und das schmutzige Zelt um sie herum errichtet hatte, daher wusste sie, es würde bald so weit sein. Jeden Augenblick erwartete sie, dass ein stämmiger Soldat der Imperialen Ordnung mit Brot und Wasser für sie hereingestürzt käme. Was aus Schwester Alessandra geworden war, wusste sie nicht; Ann hatte die Frau seit gut einer Woche nicht mehr gesehen.
Den Soldaten war es unangenehm, eine alte Frau füttern zu müssen. Vermutlich machten sich ihre Kameraden über ihre häuslichen Pflichten lustig. Gewöhnlich kamen sie herein, hielten ihren Kopf fest und steckten ihr das Brot in den Mund, schoben es mit ihren ungeschlachten, schmutzigen Fingern hinein, als wollten sie eine Gans zum Braten stopfen. Während Ann noch damit beschäftigt war, die trockene Masse zu kauen und herunterzuschlucken, bevor sie daran erstickte, gingen sie gewöhnlich bereits dazu über, Wasser hinterherzuschütten, um das Brot hinunterzuspülen.
Es war eine entwürdigende Behandlung, auf die Ann jedoch keinerlei Einfluss hatte. So gerne sie aß, mittlerweile befürchtete sie, das Essen könnte sie ins Grab bringen.
Einmal hatte der Soldat, der sie hatte füttern sollen, das Brot einfach auf die Erde geworfen und eine Schale mit Wasser danebengestellt, als wäre sie ein Hund. Er schien stolz darauf zu sein, ihr auf diese Weise seine Missachtung gezeigt und sich gleichzeitig auch noch eine Menge lästiger Arbeit erspart zu haben.
Er war sich dessen nicht bewusst, aber Ann war diese Methode weitaus lieber. Nachdem er seinen Spaß gehabt hatte und wieder verschwunden war, hatte sie sich auf die Seite fallen lassen, war herangerutscht und hatte das Brot in ihrem eigenen Tempo essen können, selbst wenn sie auf den Luxus, den Schmutz abzuwischen, verzichten musste.
Die Zeltöffnung wurde zurückgeschlagen, eine dunkle Gestalt trat ins Innere, die dahinter liegenden Lagerfeuer verdeckend. Ann fragte sich, welche Methode wohl an der Reihe sei: Mastgans oder Hund, der vom Boden frisst. Zu ihrer Überraschung war es Schwester Alessandra mit einer Schale, aus der es nach Suppe mit Wurst duftete. Sie hatte sogar eine Kerze dabei.
Schwester Alessandra drückte die Kerze neben sich in den Staub. Die Frau lächelte nicht. Sie sprach kein Wort und wich Anns Blick aus.
Im schwachen Schein der Kerze erkannte Ann, dass Alessandras Gesicht zerschunden und voller blauer Flecken war. Auf dem Wangenknochen unterhalb des linken Auges hatte sie eine hässliche Platzwunde, die jedoch bereits zu verheilen schien. Die vergleichsweise geringfügigen Verletzungen schienen unterschiedlichen Alters zu sein, von nahezu verheilt bis noch ganz frisch.
Ann brauchte nicht zu fragen, wie die Frau so zugerichtet worden war. Ihre Wangen und beide Seiten ihres Unterkiefers waren rot und wund von den Stoppeln zahlloser unrasierter Gesichter.
»Es beruhigt mich sehr zu sehen, dass du – lebst, Alessandra. Ich hatte große Angst um dich.«
Alessandra zog in gespielter Gleichgültigkeit die Schultern hoch. Sie vertat keine Zeit und führte einen dampfenden Löffel Wurstsuppe an Anns Mund.
Ann schlang ihn hinunter, bevor sie Gelegenheit hatte, den Geschmack zu genießen, so groß war ihr Hunger; doch schon das warme Gefühl in ihrem Bauch war ein Trost.
»Ich hatte um mich selber auch große Angst«, meinte Ann. »Wie sie das Essen in mich hineingestopft haben, hatte ich Angst, diese Männer würden mich umbringen.«
»Das Gefühl kenne ich«, meinte Alessandra kaum hörbar.
»Alessandra, ist alles – in Ordnung mit dir?«
»Mir geht es gut.« Sie schien sich an einen
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