Die Seele des Feuers - 10
jemand mit dem Titel ansprach, dauerte es den Bruchteil einer Sekunde, bis ihm bewusst wurde, dass er gemeint war. Allein der Klang – Dalton Campbell, Minister für Kultur – rief bei ihm ein leichtes Schwindelgefühl hervor.
Der Gardist hielt die Fackel vor. »Hier herüber, Minister Campbell.«
Dalton stieg über Männer hinweg, die so verdreckt waren, dass man sie kaum vom schmierigen schwarzen Boden unterscheiden konnte. Fauliges Wasser rieselte durch eine Vertiefung im schwarz verschmierten Ziegelfußboden. Wo es in den Raum hineinfloss, lieferte es, so wie es war, das Trinkwasser. Wo es herauslief, war es Latrine. Wände, Boden und Männer wimmelten von Ungeziefer.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, jenseits des fauligen Wassers, führte ein kleines, vergittertes Fenster ungefähr in Kopfhöhe – zu klein, als dass ein Mann hätte durchkriechen können – hinaus auf eine Gasse. Waren Familienangehörige oder Freunde um das Überleben der Gefangenen besorgt, durften sie diese Gasse betreten und sie füttern.
Weil die Arme und Füße der Männer in Holzklötze eingeschlossen waren, um sie bewegungsunfähig zu machen, konnten sie sich nicht um das Essen balgen; sie konnten wenig mehr als auf dem Boden liegen. Wegen der Klötze waren sie außerstande zu laufen, bestenfalls konnten sie ein kurzes Stück hüpfen. Waren sie in der Verfassung, sich weit genug aufzurichten, konnten sie ihren Mund in die Nähe der Fensteröffnung schieben und sich füttern lassen. Wenn ihnen niemand etwas gab, krepierten sie.
Alle Gefangenen waren nackt. Der Schein der Fackeln wurde von schmierig-schwarzen Leibern zurückgeworfen; Dalton bemerkte, dass eine der Gefangenen eine ausgemergelte alte Frau ohne Zähne war. Bei einigen Männern vermochte er nicht einmal mit Sicherheit zu sagen, ob sie noch lebten, denn sie zeigten keinerlei Reaktion auf die Soldaten, die über sie hinwegstiegen.
»Ich bin überrascht, dass er noch lebt«, meinte Dalton, an den Gardisten gewandt.
»Er hat Leute, die an ihn glauben, immer noch. Sie kommen jeden Tag, um ihm zu essen zu geben. Nachdem sie ihn gefüttert haben, spricht er zu ihnen durch das Fenster. Sie sitzen da und lauschen seinen endlosen Ausführungen, als wäre das, was er zu sagen hat, wichtig.«
Dalton hatte nicht gewusst, dass der Mann noch immer Anhänger hatte; das war von Vorteil. Mit willigen Gefolgsleuten würde es nicht lange dauern, bis die Bewegung in Gang gebracht war.
Ein Gardist senkte die Fackel und erklärte: »Dort liegt er, Minister Campbell. Das ist der Bursche.«
Der Gardist versetzte dem auf der Seite liegenden Mann einen Tritt. Dessen Kopf drehte sich in ihre Richtung. Weder schnell noch langsam, sondern mit Bedacht. Statt des entmutigten Blickes, den Dalton erwartet hatte, funkelte ihm ein einzelnes, feuriges Auge entgegen.
»Serin Rajak?«
»So ist es«, knurrte der Mann. »Was wollt Ihr?«
Dalton ging neben dem Mann in die Hocke. Er musste zweimal Anlauf nehmen, um Luft zu holen. Der Gestank war überwältigend.
»Man hat mich soeben zum Minister für Kultur ernannt, Meister Rajak. Heute erst. Ich bin gekommen, um als erste Amtshandlung das Unrecht wieder gutzumachen, das man Euch angetan hat.«
Dalton fiel auf, dass dem Mann ein Auge fehlte; an dessen Stelle befand sich eine schlecht verheilte, eingefallene Narbe.
»Ungerechtigkeit. Die Welt ist voller Ungerechtigkeit. Die Magie kann den Menschen ungehindert Schaden zufügen. Magie hat mich hierhergebracht. Aber ich habe mich von ihr nicht kleinkriegen lassen. Nein, Sir, das hab ich nicht. Ich werde mich dem Übel der Magie niemals fügen.
Das Auge habe ich mit Freuden für die Sache geopfert. Eine Hexe hat es mir genommen. Wenn Ihr erwartet, ich widerrufe meinen heiligen Kreuzzug gegen diese widerwärtigen Kuppler der Magie, könnt Ihr mich ebenso gut hier liegen lassen, habt Ihr verstanden? Lasst mich in Frieden! Ich werde mich denen niemals beugen!«
Dalton wich ein kleines Stück zurück, als sich der Mann auf dem Boden wild hin und her warf und dabei an den Fesseln riss, denen selbst ein nur halb Wahnsinniger ansehen musste, dass sie seinen Versuchen niemals nachgeben würden. Er ließ dennoch nicht davon ab, bis frisches Blut seine Handgelenke färbte.
»Ich werde meinen Kampf gegen die Magie niemals aufgeben! Habt Ihr verstanden? Ich werde mich niemals denen fügen, die uns, die wir dem Schöpfer dienen, mit Magie belangen!«
Dalton legte dem Mann eine Hand auf die schmierige
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