Die Seele des Feuers - 10
sich wieder um, nur um festzustellen, daß Zedd sich jetzt auf besagten Ellenbogen stützte. Er strahlte über seinen kleinen Triumph; Richard dagegen zog ein finsteres Gesicht.
»Jetzt hör aufmerksam zu, mein Junge. Du sagst, du seist in die Privatenklave des Obersten Zauberers eingedrungen?« Richards Kopf bewegte sich bei Zedds Worten lebhaft auf und ab. »Und du hast diesen Ort gut in Erinnerung?« Richard nickte noch immer. »Fein. Es gibt dort nur einen Zugang, einen langen Weg zwischen gewissen Gegenständen hindurch.«
»Ja, ich erinnere mich. In der Mitte dieses langen Ganges liegt ein roter Teppich. Zu beiden Seiten stehen Marmorsäulen von ungefähr meiner Größe. Auf jeder liegt ein anderer Gegenstand. Ganz am Ende…«
»Richtig.« Zedd hob eine Hand, als wolle er ihn unterbrechen. »Die weißen Marmorsäulen. Erinnerst du dich an sie? An die Gegenstände, die darauf liegen?«
»An ein paar, nicht an jeden einzelnen. Es gab dort in Broschen eingepaßte Edelsteine, Goldketten, einen silbernen Kelch, fein gearbeitete Messer, Schalen, Kästchen.« Richard hielt inne und runzelte die Stirn, während er angestrengt nachdachte. Er schnippte mit den Fingern. »Auf der fünften Säule links steht ein Fläschchen. Ich erinnere mich daran, weil ich es hübsch fand. Ein tintenschwarzes Fläschchen mit einem Stöpsel aus Filigran.«
Ein Lächeln stahl sich auf Zedds Gesicht. »Ganz recht, mein Junge. Das ist das Fläschchen.«
»Was soll ich tun? Es einfach mit dem Schwert der Wahrheit zerbrechen?«
»Zerbrich es einfach.«
»Weiter nichts? Keine Zauberformeln? Es muß nicht auf besondere Weise an einen bestimmten Platz gestellt werden? Zu keiner besonderen Stunde des Tages oder der Nacht? Es braucht nicht vorher umgedreht zu werden? Das ist alles?«
»Das ist alles. Zerbrich es einfach mit dem Schwert. Ich an deiner Stelle würde es vorsichtig auf den Fußboden stellen, nur für den Fall, daß du schlecht zielst und es herunterstößt, ohne das Glas zu zerbrechen, und es auf den Marmor fällt und dort zerspringt. Aber das ist nur meine bescheidene Meinung.«
»Also dann auf den Fußboden. Ich stelle es auf den Boden und zertrümmere es mit dem Schwert.« Richard wollte sich erheben. »Die Sache ist erledigt, bevor der morgige Tag anbricht.«
Zedd bekam Richards Hand zu fassen und zwang ihn, sich wieder hinzusetzen. »Nein, das geht nicht, Richard.« Er ließ sich mit einem unglücklichen Seufzer zurückfallen.
»Was geht nicht?« wollte Richard wissen und beugte sich abermals über ihn.
Zedd holte tief Luft. »Du kannst nicht in diese Sliph steigen.«
»Aber das müssen wir«, beharrte Richard. »Sie wird uns in weniger als einem Tag hinbringen. Über Land würde es … ich weiß nicht, Wochen dauern.«
Der alte Zauberer drohte Richard mit grimmig erhobenem Zeigefinger. »Die Sliph benutzt Magie. Wenn du in die Sliph einsteigst, wirst du noch vor deiner Ankunft in Aydindril sterben. Du wirst dich in den finsteren Tiefen dieses quecksilbernen Wesens befinden und seine Magie atmen, während eben diese Magie schwindet. Du wirst ertrinken, deine Leiche würde niemals gefunden werden.«
Richard benetzte sich die Lippen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Bist du sicher? Wäre es nicht möglich, daß ich es schaffe, bevor die Magie schwindet? Die Angelegenheit ist wichtig, Zedd. Wenn ein Risiko besteht, dann müssen wir es eben eingehen. Ich werde allein gehen. Ich werde mich von Kahlan und Cara trennen.«
Bei der Vorstellung, Richard könnte sich, während ihre Magie schwand, in der Sliph befinden und für alle Zeiten in ihr ertrinken, beschlich Kahlan ein Gefühl der Bestürzung. Krampfhaft griff sie nach seinem Arm, um zu protestieren, doch Zedd kam ihr zuvor.
»Hör mir zu, Richard. Ich bin der Oberste Zauberer, und ich sage dir: Die Magie schwindet. Wenn du in der Sliph reist, wirst du sterben. Nicht vielleicht, sondern ganz gewiß. Alle Magie schwindet. Du mußt dich ohne die Hilfe von Magie fortbewegen.«
Richard nickte, die Lippen aufeinandergepreßt. »Also gut. Wenn es nicht anders geht, dann geht es eben nicht anders. Es wird allerdings länger dauern. Wie lange können du und Ann …?«
Zedd lächelte. »Zum Reisen sind wir zu schwach, Richard, sonst würden wir dich begleiten, aber wir kommen schon zurecht. Wir würden dich nur unnötig aufhalten. Du bist in der Lage, zu tun, was getan werden muß. Sobald du das Fläschchen zerbrichst und den Bann freisetzt, werden diese Dinge
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