Die Seele des Königs (German Edition)

schlich an der Seite des Podests auf ihn zu und erwartete offenbar, dass Siris dem Gift erlegen war. Die Kreatur kreischte auf sehr unTeuflerische Weise auf, als Siris plötzlich hinter dem Podest hervorschoss und auf die Seitenwand des Saales zurannte.
    Der Attentäter hob wieder seine Armbrust, aber nun war Siris vorbereitet. Er duckte sich und setzte zu einer Rolle an. Hinter dem Tisch sprang er wieder hoch, packte seinen Schild, wirbelte herum und hob ihn.
    Der Feind huschte davon und begab sich in Deckung. Siris biss die Zähne zusammen. Jedes Wesen, dem er in der Burg des Gottkönigs gegenübergetreten war – sogar die schlimmsten Teufler und die einfachsten Trolle – waren dem uralten Ideal des Duells gefolgt. Offenbar hatte er es hier mit einer anderen Art des Bösen zu tun.
    » Also«, rief eine weibliche Stimme von der Säule her, hinter die der Attentäter geflohen war, » bist du doch nicht tot, wie ich sehe.« Ihre Stimme hatte einen schwachen Akzent, den Siris nicht einordnen konnte. Sie zog das » e« zu lang, und sie betonte die einzelnen Silben zu stark.
    Siris blinzelte überrascht, erwiderte aber nichts. Er bewegte sich quer durch den Raum und huschte wieder hinter das Podest. Es bot einen guten Schutz.
    » Das ist sehr unangenehm«, sagte die verborgene Attentäterin; ihre Stimme hallte durch den Raum. » Ich werde diesen Verkäufer bei lebendigem Leibe häuten. Er hat mir versprochen, dass das Gift schon nach drei Atemzügen tödlich wirkt. Aber du hast schon viel mehr Züge gemacht, seit ich dich getroffen habe.«
    Siris hatte den Sockel des Podests erreicht.
    » Ich vermute nicht, dass du inzwischen allmählich müde wirst?«, fragte die Stimme.
    » Leider nicht«, rief Siris zurück.
    » Schwach vielleicht? Benommen? Oder ein wenig angefressen?«
    Siris zögerte. » Angefressen?«
    » Sicher. Du weißt schon, wenn etwas dich beißt. Ist das nicht das richtige Wort?«
    » Nein, es bedeutet verärgert.«
    » Mist.« Hinter der Säule drang ein Geräusch hervor, das so klang, als würde jemand etwas niederschreiben . Notizen etwa? » Deine Sprache ist dämlich, Unsterblicher.«
    » Warte«, sagte Siris. » Unsterblicher?«
    » Ich möchte hinzufügen«, fuhr die Stimme fort, » dass es meist nicht um plötzlichen Bartwuchs geht, wenn von Ehrfurcht gebietenden göttlichen Kräften geredet wird. Ich hatte eher Blitz, Donner und Erdbeben erwartet. Stattdessen durfte ich eine spontane Gesichtsbehaarung erleben. Ich bin nicht sonderlich beeindruckt.«
    Donner … Erdbeben … Unsterblich?
    Beinahe hätte Siris aufgelacht. Sie glaubte, er sei der Gottkönig!
    Was soll sie denn sonst denken, wenn sie jemanden auf dem Thron sitzen sieht, während neben ihm das Schwert des Gottkönigs lehnt und er sich mit einem Troll unterhält?
    » Ich glaube, hier handelt es sich um ein Missverständnis …«, begann Siris.
    In diesem Augenblick sprang die Attentäterin hinter ihrer Säule hervor und richtete die Armbrust erneut auf ihn. Sie hatte ihre Maske abgesetzt, und überrascht stellte er fest, dass sie durch und durch menschlich war.
    Und mit ihrem langen schwarzen Haar, das sie zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, war sie keineswegs hässlich. Aber ihre Augen verdarben das Bild. Sie blickten hart und finster drein. Gefährlich.
    Siris hatte es seinen mühsam erworbenen Reflexen zu verdanken, dass er den Schild rechtzeitig hob, um den Pfeil der Armbrust abzufangen. Die Frau hatte sich wieder mit wirbelndem Mantel hinter die Säule geduckt. Sie hatte versucht, ihn durch das Gespräch in Sicherheit zu wiegen.
    » Du machst einen Fehler«, sagte Siris. » Ich …«
    Die Tür des Saales explodierte. Ein massiges, hoch aufragendes Ding aus Funken und Finsternis brach sich einen Weg durch Holz und Stein auf der gegenüberliegenden Seite; Splitter flogen durch die Luft. Es hielt ein Schwert in der Hand, das so breit wie die Schrittlänge eines Mannes war, und sein Kopf war unter einem Helm verborgen, durch dessen Augenschlitze dunkler Rauch drang.
    » Was ist das ?«, wollte Siris wissen.
    » Du hast doch wohl nicht etwa geglaubt, dass ich allein gekommen bin?«, rief die Frau.
    Großartig , dachte Siris und wandte sich dem neuen Feind zu, wobei er sorgsam darauf bedacht war, die Frau nicht im Rücken zu haben. Das würde ihm vermutlich zu einem Bolzen zwischen den Schulterblättern verhelfen. Seine Rüstung war gut, aber offenbar hatte sich die Attentäterin eine verstärkte Armbrust bauen