Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
anderen haben schon nach Junius’ Verhaftung ein neues Schreiben nach Speyer geschickt. Wir fordern darin die Einschaltung des Reichshofrats in Wien, hinter dem die Autorität des Kaisers steht. Ich bete zu Gott, dass ein neuer Einspruch rechtzeitig kommt und sich der Fürstbischof diesmal davon beeinflussen lässt. Dein Vater weiß das, er wird also versuchen, so lange wie möglich durchzuhalten. Vielleicht hat er auch die Gelegenheit, im Malefizhaus Junius Bescheid zu geben. Mehr können wir im Augenblick nicht ausrichten. Was ihr selber tun könnt?«, fuhr er fort. »Versucht morgen in aller Herrgottsfrühe aus der Stadt zu kommen, gleich beim Aufsperren der Tore. Und du auch, Thea. Die Veronika Junius soll auch mit. Sie wird, falls ihr Vater stirbt, die Nächste sein.«
»Nein!« Thea griff nach der Hand ihres Mannes. »Ich lass dich auf keinen Fall allein, Heinrich.«
»Liebes, versteh doch! Du kannst mir nicht helfen, und du bist jetzt doppelt in Gefahr: Als Tochter eines Verhafteten und als meine Frau. Ich könnte ruhiger schlafen, wenn ich dich in Sicherheit wüsste. Ich bitte dich, geh mit. Es ist ja nur eine Frage der Zeit. Meine Verwandtschaft in Nürnberg wird euch alle aufnehmen.«
Johanna kämpfte mit sich. Alles in ihr sträubte sich dagegen, aus der Nähe ihres Vaters zu flüchten. Aber ihr Schwager hatte recht, sie konnte nicht helfen. Und da war noch Antoni. Sie hatte die Verantwortung für ihn.
»Wir gehen.« Die beiden Worte fielen ihr schwer.
»Bitte, Thea.« Heinrich Flock sah seine Frau flehentlich an. Schließlich gab sie auf und nickte, Tränen in den Augen.
Die Nacht war schlimm. Johanna und Antoni schliefen gemeinsam im großen Bett, fest aneinandergeschmiegt, um ein wenig Trost zu finden. Dennoch, und obwohl sie eine Bettpfanne mit heißem Wasser aus dem Kupferkessel gefüllt hatte, fror Hanna die ganze Zeit. Sie horchte auf die regelmäßigen Atemzüge ihres Bruders und wartete auf das Morgengrauen.
Kaum war es hell geworden, klopfte es leise unten an die Tür. Thea und Veronika waren da, dick in einfache Wollsachen eingemummt und jede mit einer Huckelkieze. Johanna weckte Toni; schweigend zogen sie sich an. Sie packten Geld und ein paar Vorräte ein und nahmen sich ebenfalls Tragekörbe mit, damit es so aussah, als seien sie einfache Frauen auf dem Weg in den Hauptsmoorwald zum Reisigsuchen.
Es hatte aufgehört zu schneien, der Himmel war klar und die morgendliche Kälte schneidend. Schweigend stapfte das Grüppchen durch die Lange Gasse aufs Tor zu. Ein Flügel war schon weit offen; die beiden Torwarte standen daneben und traten von einem Bein aufs andere, um warme Füße zu behalten.
Dorothea war die Mutigste, sie ging als Erste. Das dunkle Webtuch eng ums Gesicht geschlungen, lief sie zielstrebig zum Tor. Sie brachte es sogar fertig, einen Morgengruß zu murmeln, als sie an den Wächtern vorbeikam.
»Wohin?«, fragte einer der beiden.
Sie drehte sich um. »Holz klauben. Meine Kinder frieren.«
Dann war sie durch. Sie beschleunigte ihre Schritte, um wie verabredet hinter dem Schwarzen Kreuz auf die anderen zu warten.
Veronika kam als Nächste. Mit gesenktem Kopf steuerte sie auf das Tor zu, ein paar Schritte hinter ihr folgten langsam Johanna und Antoni.
»Auch ins Holz?«, fragte der ältere der Torwarte.
Die Bürgermeistertochter nickte und ging weiter. Da fiel der Blick des Mannes zufällig auf Veronikas Hände. Sie trug dicke braune Lederfäustlinge von einer Art, wie sie sich eine einfache Frau nie und nimmer leisten konnte.
»He!«, knurrte der Torwart, »zeig uns dein Gesicht, Weib!«
Veronika verlor die Fassung und rannte los. »Halt!«, brüllte der Torwart und stürmte mit der Pike hinter ihr her. Noch bevor die Flüchtende das Tor erreicht hatte, rutschte sie im Schnee aus und fiel hin. Keuchend und voll verzweifelten Zorns blickte sie zu dem Mann auf, ihr Kopftuch war verrutscht.
»Da schau her, die Tochter vom Bürgermeister!« Der zweite Torwart war herangekommen. »Seit wann gehen reiche Jungfern wie Ihr in aller Herrgottsfrüh zum Reisigholen, hm?«
Veronika rappelte sich auf. Mit einem kurzen Blick registrierte sie, dass sich Johanna und Toni hinter dem Rücken der Wachen unauffällig auf den Weg zum Tor machten.
»Ist das verboten?«, schnappte sie. »Die Hausmagd ist krank, da muss eben ich hinaus.«
»Ei, das dürft Ihr aber nicht«, grinste der jüngere Torwart zurück. »Wir haben nämlich Order, nicht jeden durchzulassen. Vor allem nicht
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