Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
gut sein, Jungfer Johanna, Ihr könnt nichts für ihn tun. Seid vernünftig und geht ins Haus.«
Der zweite Einholer packte ihren Vater, während ein dritter Mann immer noch Toni festhielt.
»Johanna«, flüsterte Abdias Wolff mit heiserer Stimme, während der Einholer ihn auf die Füße zerrte. »Geh! Nimm auch die Thea mit. Lass mir die Gewissheit, dass wenigstens ihr am Leben bleibt. Verlier keine Zeit.«
»Ich lass dich nicht allein«, schluchzte Hanna und kämpfte gegen die Hände des Büttels, der sie wegzog. »Ich hätte überhaupt nicht weggehen sollen.« Hilflos musste sie zusehen, wie der Stadtknecht ihren Vater mit seinem Spieß von ihr wegtrieb. »Geht!«, rief Abdias Wolff noch einmal über die Schulter. »Geht!«
Der Büttel ließ Johanna los und folgte dem Einholer, und auch der zweite Stadtknecht stapfte hinter den anderen Männern her. Johanna blieb mit hängenden Armen stehen. Auch ihr Bruder rührte sich nicht, stumm vor Wut und Verwirrung. Erst als die kleine Gruppe im Schneetreiben nicht mehr zu sehen war, kam wieder Leben in ihn. »Schweine!«, schrie Antoni mit sich überschlagender Stimme, »ihr Schweine!«
Johanna zog ihn ins Haus. Drinnen setzte sie sich mit ihm auf die Küchenbank, nahm ihn in die Arme und tröstete ihn, als er endlich zu weinen anfing. Ihr Blick wanderte verloren über seinen Kopf zum Fenster hinaus auf die verschneite Gasse, die schon im Zwielicht der einbrechenden Dunkelheit lag. Sie war in die Hölle zurückgekehrt.
Irgendwann später am Abend, als es draußen schon finster war, sperrte jemand die Apothekentür auf. Thea kam herein, bleich wie der Tod, gefolgt von ihrem Mann. Wortlos fielen sich die beiden Schwestern in die Arme.
»Ein Nachbar hat uns Bescheid gesagt.« Heinrich Flock drückte Toni fest an sich. Dann ging er an den kalten Herd und begann, ein Feuer zu schüren. Aus einem mitgebrachten Korb holte er einen Laib Brot und zwei irdene Hafen mit Essen und stellte alles neben der Feuerstelle ab. Er ließ Toni aufdecken, während er in den Keller ging, um kurz darauf mit zwei Krügen Wein wieder aufzutauchen. Schließlich setzte er die beiden Töpfe auf Dreifüßen ins Feuer, goss Wasser aus einem Schaff in den kupfernen Feuerkessel und setzte sich zu den Schwestern, die sich am Tisch leise unterhielten. Hanna drückte ihm dankbar die Hand.
»Wir haben gespielt und verloren«, sagte er schließlich und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Dein Vater, ich und etliche andere, wir haben geglaubt, gegen den Fürstbischof aufbegehren zu können. Wir haben uns mutig gefühlt, weil wir im Recht waren und es immer noch sind. Ein Mandat aus Speyer haben wir erwirkt, ja! Nur – es hat nichts geändert an der Drudenjagd. Diese Verbrecher halten sich nicht an die Mahnungen der Justiz. In unserer Torheit dachten wir, unsere Namen könnten geheim bleiben, bis das Reichskammergericht einschreiten würde. Ich fürchte, wir haben uns getäuscht. Ich vermute, die da oben wissen alles, und einer nach dem anderen kommen wir jetzt dran. Junius war der Erste, er liegt im Malefizhaus. Einige von den anderen haben schon keine Ehefrauen mehr, verbrannt. Und jetzt dein Vater, Hanna.«
Johanna verbarg das Gesicht in den Händen. »Wie kann das alles sein? Warum kann sich denn das Gericht in Speyer nicht durchsetzen? Es ist doch das höchste Gericht im Reich?«
Flock nickte. »Das ist es. Wir alle waren davon überzeugt, das Wort aus Speyer habe Gewicht. Doch dieses Gewicht beruht allein auf seiner moralischen Macht, auf altem Herkommen. Das Reichskammergericht hat keine Legionen. Es besitzt keinerlei militärische Mittel, seine Forderungen durchzusetzen. Der Fürstbischof setzt zwar unter den anderen Fürsten im Deutschen Reich seinen Ruf als gerechter Landesherr aufs Spiel, aber das ist auch schon alles. Und offenbar stört ihn das nicht.«
Thea füllte dicke geschmalzene Brotsuppe in zwei hölzerne Näpfe und tat geröstete Zwiebeln und Speckstücke obendrauf. »Ihr müsst essen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, »ihr seid hungrig von der Reise.«
Johanna spürte jetzt erst ihren knurrenden Magen. Wie hatte sie sich auf ihr erstes Essen daheim gefreut! Und jetzt aß sie ohne Appetit, nur um den leeren Bauch zu füllen und weil es niemandem nützte, wenn sie nicht bei Kräften blieb. Antoni ging es genauso.
»Heinrich, was können wir tun?«, fragte Johanna schließlich.
Flock hob mit einer hilflosen Geste die Schultern. »Nichts. Wir
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