Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
»willkommen in Hall! Zieht Euch den Stuhl dort drüben heran, am Feuer redet sich’s gut. Ich höre, Ihr kommt aus Bamberg?«
Kircher holte sich einen ledergepolsterten Stuhl mit geschnitzten Armlehnen und ließ sich darauf nieder. »Ich danke Euch, dass Ihr mich empfangt«, begann er. »Ja, ich komme aus Bamberg, und ich habe Schlimmes von dort zu berichten.«
»Die Zeitläufte sind schrecklich.« Adam Tanner ächzte und setzte sich in seinem Sessel zurecht. Kircher sah, dass die Füße und Knöchel des Professors, die in samtenen Pantoffeln steckten, von der Wassersucht dick geschwollen waren. »Überall diese Hexenplage, Folter und Verfolgung, dann der Krieg. Der katholische Glaube befindet sich in einer Krise, wie es sie zuletzt mit Martin Luther vor hundert Jahren gegeben hat. Und ich fürchte, vieles an dieser Krise ist auch heute von Kirche und Obrigkeit selbst verschuldet. Wir müssen in Deutschland wieder zur Ruhe kommen, Gott helf uns.«
Kircher nahm einen Schluck vom Würzwein, der ihm angenehm heiß die Kehle hinunterrann. »Bruder Tanner, ich fürchte, dies ist keine Krise. Es ist viel schlimmer. Ich glaube, die Kirche befindet sich auf einem schrecklichen Irrweg, und dieser Irrweg kostet so viele Unschuldige das Leben. Ich habe sie gesehen, diese Elenden, die unter der Folter zusammenbrechen, die vergebens nach ihrem Gott schreien, die keinem Menschen mehr ähnlich sehen, so hat man sie zugerichtet. Und ich kann nicht mehr schweigen. Deshalb bin ich hergekommen.«
»Ihr wart Hexenbeichtiger, nehme ich an?«
Kircher nickte. »Diese armen Seelen ins Feuer zu begleiten ist mehr, als ein Mensch ertragen kann. Und wenn Ihr mich nun einen Ketzer nennt, Pater: Ich glaube, dass keiner von diesen Verurteilten schuldig war.«
Der Alte hob die Augenbrauen. »Glaubt Ihr nicht an die Existenz von Hexen, Bruder Kircher?«
Kircher vergrub für einen Augenblick das Gesicht in den Händen. Schließlich sah er auf. »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich bin zum Zweifler geworden, Pater. Was ich früher einmal für gut und gerecht gehalten habe, stimmt heute nicht mehr. Helft mir, Pater Tanner, und helft den armen Opfern dieses furchtbaren Wahnsinns. Gott kann dies alles nicht wollen.«
Tanner schwieg lange und betrachtete sein Gegenüber mit nachdenklichem Blick. »Euere Seelenqual steht Euch gut an, mein Freund«, sagte er schließlich. »Dennoch solltet Ihr Euren Glauben durch die Hexenprozesse nicht in den Grundfesten erschüttern lassen, meine ich. Seht, eines ist doch vor allem anderen klar: Niemand kann bezweifeln, dass es Hexen und Zauberer gibt, die von Gott abfallen und sich dem Teufel verschreiben. Das steht in der Heiligen Bibel, und diese ist uns für alle Dinge Regel und Maßstab. Der Fehler liegt meines Erachtens im Procedere, im falschen Umgang mit dem Phänomen der Hexerei. Und hier müssen wir, das ist auch meine Meinung, eingreifen.«
»Also glaubt Ihr auch, dass alle, die verurteilt wurden, unschuldig sind?«
»Nein.« Tanner winkte mit seiner dünnen Greisenhand ab. »Nicht alle, aber vielleicht manche. Die Crux ist die Folter«, fuhr er fort. »Es scheint tatsächlich so, dass ein Mensch dem Schmerz nicht widerstehen kann, bis hin zu dem Augenblick, an dem er lieber den Tod wählt, als diesen Schmerz länger auszustehen. Nun ist aber die Folter in sämtlichen Gesetzesordnungen, die wir kennen, als Mittel zur Erlangung eines Geständnisses probat und sogar vorgeschrieben … «
Kircher fuhr hoch. »Ja, aber nicht so, wie die Tortur in Bamberg gehandhabt wird. Die Folter darf die Dauer einer halben Stunde nicht überschreiten, heißt es. Und es gibt nur drei Grade, die nacheinander angewandt werden dürfen. Dann muss Schluss sein. Nach dreimaliger Folter ohne Geständnis hat die Freilassung zu erfolgen. Doch wer übt hier eine Aufsicht aus? Niemand! Zu Bamberg wird stundenlang gefoltert, und wenn nach dieser Zeit der Gequälte immer noch abstreitet, wird die Tortur nicht beendet, sodass beim nächsten Mal bereits die zweite Sitzung anstünde, sondern die Folter wird lediglich ›unterbrochen‹ … «
Tanner nickte erschüttert.
»Und nun frage ich Euch«, fuhr Kircher fort. »Wie um Gottes willen soll ich als Beichtvater handeln, wenn ich zu sehen glaube, dass jemand nur aus Furcht vor der Folter bekannt hat? Was soll ich tun, wenn derjenige vor meinen Augen zur Richtstatt geführt wird? Mache ich mich nicht selbst schuldig?«
Tanner griff sich etwas, das neben ihm auf einem
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