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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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kurz. »Geh wieder zurück«, sagte sie schließlich. »Ich muss die Arznei erst brauen, dann bring ich sie. Es dauert nicht lang.«
    Das Herdfeuer brannte noch, und während sie Toni Wasser aufsetzen ließ, holte sie drei buntbemalte Albarelli aus der Offizin; auf der Vorderseite des einen war ein weißes Kreuz gemalt, das Zeichen für Gift. Sie nahm je eine Handvoll getrockneten Farn und Ackerwinde und warf beides ins brodelnde Wasser. Nach kurzer Zeit holte sie den kleinen Kessel vom Feuer und tat eine Nussschale voll pulverisierter Nadeln des Sadebaums hinzu. Der kleine, wacholderartige Busch war das wirksamste wehenauslösende Mittel, das sie kannte, gefährlich in der Anwendung. Man durfte auf keinen Fall zu hoch dosieren. Rasch tat Johanna noch einen Löffel Honig in den Sud, rührte gut um und filterte alles durch ein feines Leintuch in ein Fläschchen, das sie mit einem Stückchen weichem Wachs verschloss. Dann warf sie sich ihren Winterumhang um und lief so schnell sie konnte zum Oberen Kaulberg.

    In der vorbereiteten Wochenstube waren Angst und Verzweiflung zu spüren. Die Gebärende lag halb ohnmächtig in einem breiten Kastenbett; das Gesicht der jungen Frau war wächsern und aufgedunsen wie der ganze Körper. Sie sah aus wie eine pralle Bienenkönigin in ihrer Wabe. Die besorgte Schwiegermutter tupfte ihr den Schweiß von der Stirn und flößte ihr heißen Würzwein mit Eigelb ein. Eine alte Nachbarin stand hilflos dabei, das kleine erstgeborene Söhnchen des Büttners auf der Hüfte. Und der Schorsch selber kniete neben seiner Frau und hielt ihre Hand, auch wenn eigentlich Männer bei einer Geburt draußen zu warten hatten.
    Johanna zögerte. »Ich weiß nicht recht«, sagte sie leise zu den beiden Frauen. »Ich kann nur Arzneien machen, aber nicht darüber urteilen, ob und wann man sie anwenden darf. Vielleicht ist eine austreibende Medizin gerade das Falsche … «
    Die Büttnerin schüttelte den Kopf. Mit Tränen in den Augen deutete sie auf ihre Schwiegertochter, die jetzt leise stöhnte. »Sie überlebt das nicht, wenn wir nichts unternehmen. Seht sie an! Es dauert schon viel zu lange. Außerdem hat das Kind aufgehört, sich zu bewegen. Es muss aus dem Leib.«
    Die Nachbarin pflichtete ihr bei. »Ich hab schon viele Kinder mit auf die Welt bringen helfen«, raunte sie. »Aber so schlimm, das hab ich noch nicht erlebt.«
    »Gebt ihr das Wehenmittel, in Gottes Namen. Sonst müssen wir morgen zwei Leichen begraben.« Die Büttnerin faltete die Hände. »Ich bitt Euch.«
    Johanna rang mit sich, dann fällte sie eine Entscheidung. Die beiden Frauen hatten recht. Sie setzte das Fläschchen an die Lippen der Schwangeren und ließ sie ein paar Schlucke trinken. »Das ist ein erprobtes Wehenmittel«, sagte sie in beruhigendem Tonfall. »Die Hebammen holen es oft in der Apotheke. Es hilft eigentlich immer. Habt keine Angst, Ihr schafft das schon.«
    Die junge Frau versuchte ein Lächeln. Ihre Lippen waren blutleer und rissig. Dann, nach einiger Zeit, schrie sie vor Schmerz auf und krümmte sich. Der Absud wirkte, Gott sei Dank. Man schickte den werdenden Vater mitsamt seinem Söhnchen hinaus, sie hatten nun endgültig nichts mehr in der Wochenstube zu suchen. Während Johanna sich um Tücher und heißes Wasser kümmerte, legte sich die alte Nachbarin quer über den geschwollenen Leib der Schwangeren und drückte bei jeder Wehe mit aller Kraft. Wieder und wieder kamen die Wehen; irgendwann schrie die Gebärende nicht mehr, sondern lag nur noch mit verdrehten Augen da. Aber dann, endlich, schob sich ein dunkel behaartes Köpfchen durch, und nach einer letzten gemeinsamen Anstrengung hielt die Büttnerin ihr Enkelkind in den Händen. In stummem Entsetzen starrte sie auf das missgestaltete Wesen, ein verkrümmtes, unförmiges, rotschmieriges Etwas. Das Kind schrie nicht, aber es bewegte sich ganz schwach. Entsetzt gab die Frau den kleinen Jungen an Johanna weiter, als habe sie sich an ihm die Hände verbrannt. Die Nachbarin tat beim Anblick des Wesens einen erschrockenen Atemzug und bekreuzigte sich: »Jesusmariaundjosef!«, jammerte sie laut, während Hanna das Neugeborene in ein Tuch einschlug.
    Der Büttner-Schorsch riss die Tür auf; er hatte den Entsetzensschrei der Nachbarin gehört. Er machte zwei schnelle Schritte auf Johanna zu und streckte die Arme aus, um seinen Sohn zu nehmen. Sie hielt ihm das Kleine hin; gleichzeitig merkte sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Sein Blick sagte alles. Das Kind war

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