Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
tot.
Die Büttnerin schluchzte auf, und die Nachbarin begann, in leisem Singsang zu beten: »Maria, breit den Mantel aus, mach einen Schutz und Schirm daraus … «
Ein leiser, klagender Ton kam von der jungen Frau im blutigen Bett.
Während die Familie gemeinsam betete und die Nachbarin nach dem Pfarrer ging, tat Johanna, was zu tun war. Sie schloss dem toten Kind die Augen, damit es niemanden nachholte. Dann öffnete sie ein Fenster, um die kleine ungetaufte Seele hinauszulassen. Auf Bitten der Büttnerin zeigte sie dem Vieh im Stall, einer einzigen Kuh, zwei Säuen und zwei Ziegen, den Tod an und stellte anschließend sämtliche Blumentöpfe im Haus um, damit die arme Seele nicht umging. Dann umarmte sie die Trauernden, murmelte ihr Beileid und ging nach Hause. Das Licht der Laterne warf dunkle Schatten in den einsamen Gassen. Es lag kein Schnee, aber es war so eisig, dass nicht einmal die Katzen durch ihre Reviere streiften. Johanna zitterte vor Kälte. Unterwegs fragte sie sich immer wieder, ob sie richtig gehandelt hatte, und kam dabei immer wieder zur selben Antwort: Ja. Das Kind hatte, missgestaltet wie es war, nicht leben können. Durch die herbeigeführten Wehen war wenigstens die Mutter, wenn nicht noch ein Kindbettfieber dazukam, gerettet. Johanna sperrte müde die Haustür auf, stellte die Laterne auf den Tisch und setzte sich noch einen Augenblick auf die warme Ofenbank. Draußen rief der Nachtwächter die zweite Stunde des neuen Tages aus. Sie wünschte sich so sehr, Cornelius wäre hier gewesen.
Heimliche Nachricht der Dorothea Flock aus der Alten Hofhaltung
Mein Heinrich, mir und dem Kindt geht es wohl. Seit ich in der Hoffhaltungk bin, lieg ich in Kethen, doch ich hab genugsam zu eßen und muß nit frieren. Sie thun mir nichts. Ich denck Tagk und Nacht an dich, Libster, das und unßer Kleines helt mich am Leben. Und ich bet von früeh biß späeth, daß sich die Dingk zum Guthen wenden. Verlier du nit den Muth, Gott muß doch helffen! Aber wenn es zum Schlimbsten komt und man mich inß Fewer schickt, so sollstu nit umb mich weinen, sonsten findt meine Seel keine Ruh nit. Und du darffst auch nit zu langk trauern. Gib unserm Kindleyn baldt eine neue Mutter, die guth zu ihme ist. Und sey gethrost, daß wir unß dereinst wieder sehn, des bin ich gewiß. Weiß aber nit, ob ich noch öffters schreyben kann. Gib dem Buben, der dir das Brieffleyn bringt, fünf Gulden, ich hab’s ihme versprochen. Er hat das allt Stroh geholt und newes eingestreuet und mir dabey dieß Fetzleyn Papir und ein Kohlenstifft bracht. Ich weiß nit, ob und wann er wiedrum kommt.
Ich behalt dich lieb biß auff ewigk. Immer dein Weib Thea. Amen.
Rom, Anfang April 1631
Later Kircher ließ sich auf seinem dicken Braunen einfach in der Masse treiben. Soeben hatte er das nördliche Stadttor, die Porta del Popolo, passiert. Staunend wie ein Kind blickte er nach links und rechts, nahm die ersten Eindrücke von der Stadt auf. Rom – wie großartig klang allein schon dieses Wort! Die Heilige Stadt, der Mittelpunkt der christlichen Welt! Und jetzt sah er dies alles mit eigenen Augen! Überwältigt, glücklich und auch ein ganzes Stück demütig ritt Kircher inmitten des Pilgerstroms. Er wusste noch gar nicht, wohin, aber es genügte ihm, einfach dabei zu sein und die Stadt in sich aufzusaugen. Irgendwann fand er sich auf einer breiten, pompösen Straße wieder, die kerzengerade auf ein Ziel zuzuführen schien. Es wurden immer mehr Menschen, und sie alle strebten in dieselbe Richtung. Kircher, der kleine Jesuit aus Bamberg, schluckte. Fast trieb es ihm die Tränen in die Augen. Rom, caput mundi, das Haupt der Welt!
Vor kaum einem halben Jahrhundert hatte der damalige Papst Sixtus V. vier neue Prachtstraßen bauen lassen: Die Via Sistina, die Via delle Quattro Fontane, die Straßen von Santa Maria Maggiore und der Porta San Lorenzo. Sie verbanden geradlinig die Basiliken, zu denen seit jeher die Pilgerströme zogen. Und sie mündeten auf große viereckige Plätze, in deren Mitte Obelisken standen, die einst unter den Trümmern des antiken Rom gelegen hatten. Längs dieser neuen Straßen und an den Plätzen waren massige Palastbauten entstanden, darunter der Lateranpalast und der päpstliche Wohnsitz auf dem Quirinal. Gleichzeitig hatte man ein unglaubliches Meisterwerk vollendet, das durch den Tod des Künstlers unterbrochen worden war: die Peterskuppel Michelangelos.
Auch hatte sich innerhalb kurzer Zeit am Ende des 16. Jahrhunderts
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