Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
überall in Teutschlandt das Landt verwüstet und die Menschen dreyßig Jahr lang ins grosze Elendt gestürtzt hat. Die falschgläubigen Protestanthen haben zu der Zeyt im Norden gewüthet gegen das Heer des Kaisers, es war ein Kämpfen um die rechte Religion und den wahren Glauben, und vielleycht hat grad dann der Teuffel mithelffen wöllen, die katholische Confession zu schwächen und dort anzugreiffen, wo niemands damit rechnet: In ihrem Hertzen, den katholischen Bisthümern.
Ich weiß es nit, denn ich bin ein eynfaches Weib, und es stehet mir nit zu, in die Tieffe zu dencken. Das söllen die gelehrten Doctores, die Theologi und Philosophi thun. Heut jedenfalls will mir manches Mal scheinen, daß doch der Teuffel den Sieg davon gethragen hat. Zu Bambergk ist langk nit mehr der Reichtumb, den man frühers gekannt. Immer noch stehn die Häußer brach, sind die beßten Leutt nit mehr da. Und alles hat damit angefangken, daß der jungk Moorhaupt, Gott sey seiner armen Seel gnedig, zugeben hat, ein Hexer zu sein. Warumb, und ob es denn gestimmbt hat – wer mag es heut noch sagen? Wir gingen damals wie im Nebel, alle, und heut sind wir nit klüeger …
Was in dieser Zeyt den Menschen und auch meiner eignen lieben Verwandschafft zugestoßen und geschehn, lässet mich jetzt, nach so langen Jahren, noch erzithern. So vil Schuldt, so vil Unschuldt. Die Weltt ist aus den Angeln, was soll man noch glauben? Die Hexen sind gerichtet mit dem Feuer, und der Kriegk vorbey. In manchen Dörffern und Städten lebt niemandts mehr, wer übrig ist, tanzet und hurt, die Fluren liegen wüstt. Alles ist schlimmer als vorhern. Ist dieß alles das Werck Lucifers?
O Hergott hilff.
Am Schönen Brunnen, Anfang März 1627
Johanna lief mit ihrem Wasserkrug unter dem Arm über den Grünen Markt. Es war einer der ersten schönen Frühlingstage in diesem Jahr, sonnig und mild. Am Fluss blühten die Schneeglöckchen und die gelben Winterlinge, die Schneeflecken im Schatten begannen zu tauen, und es roch nach Erde und erstem Grün. Die halbe Stadt war auf den Beinen. Das lag allerdings nicht nur am Wetter, sondern an der unglaublichen Neuigkeit, die seit dem Morgen die Runde machte: Christina Moorhaupt hatte ein Geständnis abgelegt.
Überall standen die Leute beieinander und diskutierten. Natürlich hatte man schon länger gewusst, dass sich der junge Moorhaupt in Zeil selbst der Druderei bezichtigte. Es war auch durchgedrungen, dass die Ellin in Verhaft lag und ebenfalls über Zauberei faselte. Aber schließlich war der Hansi doch ein dummer Schulbub, man kannte ihn ja, und die Ellin ein schwatzhaftes altes Weib. Dass die Stadtknechte vor kurzem die Bürgermeisterin geholt hatten, schien schon bedenklicher. Denn die Moorhauptin war, wie jeder wusste, eine ehrbare Frau von untadeligem Ruf. Sie ging regelmäßig zur Messe, gab jeden Sonntag reichlich für das große Almosen. Alle Weihnachten spendete sie vier Pfund Wachs für die Altarkerzen von Sankt Stephan und zwölf Kiezen Brot für die Hausarmen der Stadt. Und nun gab sie Hexenwerk zu? Das war ungeheuerlich!
»Habt ihr gehört? Sie soll den Leib Christi bei der Kommunion aus dem Mund genommen und hinterher zum Hagelmachen verwendet haben!« Das war die Lohmüllerin, die, obwohl sie bei der Mühle einen eigenen Kettenbrunnen besaß, heute eigens zum Wasserholen auf den Markt gekommen war. »Es heißt, sie quälen die Hostie so lange, bis Blut kommt.«
»Wann hat’s denn das letzte Mal gehagelt?«
»Ist doch gleich, aber jetzt wissen wir wenigstens, warum! Ich hab’s ja schon immer gesagt: alles Hexenwerk! Da graut’s einem doch! Und dass die Gürtlerin unterm Michelsberg so dahinsiecht, das ist auch Malefizzauber, sie hat’s selber gesagt! Die Unholden nehmen Nadeln, mit denen ein Toter eingenäht worden ist, stechen Löcher in einen Apfel und füllen sie mit Eisenhutsaft. Sobald ein Weib den Apfel gegessen hat, vergeht ihr das Menstrum, und es zieht ihr in die Glieder, dass sie gelähmt und krumm wird.«
Johanna ging schnell an der geifernden Müllerin vorbei und trat an den Brunnen zu ihrer Freundin Veronika Junius, der Tochter des zweiten Bürgermeisters. »Weißt du mehr als diese Gerüchte?«, fragte die dralle Zwanzigjährige. »Mein Vater war gestern deswegen in einer Ratsbesprechung, aber seitdem schweigt er wie ein Grab.«
Die Apothekerstochter zuckte die Schultern. »Nur das, was alle erzählen. Bei uns in der Apotheke stehen die Leute Schlange. Alle wollen Kräuter kaufen,
Weitere Kostenlose Bücher