Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
die Hexen abwehren. Sie hängen den Kindern Misteln um den Hals und stecken ihnen Dill in die Taschen, weil der Geruch dem Teufel unangenehm sein soll. Und Johanniskraut verlangen sie, weil irgendjemand behauptet hat, dass es früher Teufelsflucht genannt wurde und Geister vertreibt.«
»Und Gundelreb, habt ihr Gundelreb?« Maria Reußin, die Mutter des kleinen Mariele, war hinzugekommen. »Es hilft Hexen erkennen. Man muss sich einen Kranz daraus auf den Kopf setzen, dann sieht man sie. Vierblättriger Klee geht auch.«
»Ich weiß nicht.« Johanna schürzte die Lippen. »Auf einmal kennt jeder ein Mittel gegen Hexen. Ich hab ja alle Kräuter ständig da, aber eine Drud hab ich noch nicht gesehen …
Plötzlich stand auch Mariele da. »Man sieht sie ja auch nicht, weil sie sich unsichtbar machen.«
Veronika Junius lachte. »Du kennst dich ja mit solchen Sachen gut aus!«
»Freilich.« Das Kind sah voller Ernst zu ihr auf. »Meine Ahn war eine Drud.«
Maria Reuß packte ihre Tochter bei der Hand und zerrte sie rasch von den beiden jungen Frauen weg. »Du Dummerle«, zischte sie. »Was redest du denn da?«
»Wenn’s aber doch stimmt«, sagte die Kleine weinerlich.
Johanna und Veronika sahen Mutter und Tochter nach, wie sie in der Menge verschwanden. »Armes kleines Ding«, sagte Johanna. »Manchmal glaube ich, sie ist nicht ganz richtig im Kopf.«
Drüben vor dem alten Rathaus hatte sich derweil eine Menschentraube angesammelt und hörte einem der Geistlichen von St. Gangolf zu, der Wissenswertes zu berichten hatte. »Vor bald hundertfünfzig Jahren«, deklamierte er, »nämlich anno 1484, hat der weise Papst Innozenz VIII. eine Bulle herausgegeben mit Namen ›Summis desiderantes‹. Sie enthält den Befehl zur Verfolgung aller zauberischen Personen. Denn schon im Buch der Bücher steht: ›Eine Hexe sollst du nicht leben lassen.‹ Nun mögen sich manche fragen, warum. Warum eine solch schwere Strafe? Die Antwort ist einfach: Eine solche Zauberin macht sich des schlimmsten Verbrechens schuldig, das ein Mensch je begehen kann: des Abfalls von Gott.«
»Ja«, schrie einer, »sie unterschreiben einen Pakt mit dem Teufel mit ihrem eigenen Blut.«
»So ist es«, erwiderte der Pfarrer. »Und Luzifer verleiht ihnen dafür die Macht, Böses zu tun. Die Drud gibt ihre Seele für die Fähigkeit zum Maleficium. Deshalb ist die Hexerei ein zweifaches Verbrechen, ein crimen mixtum. Einerseits ein geistliches, andererseits ein weltliches. Und weil die Kirche nur den Abfall von Gott strafen kann, muss die Hexe wegen ihrer Übeltaten von der weltlichen Justiz gerichtet werden.«
»Und dann kommt sie ins Feuer«, bemerkte eine junge Frau aufgeregt.
»Ja, denn Feuer heilt. Feuer reinigt. Von dem Körper, in dem eine Seele gewohnt hat, die des Teufels war, soll nichts bleiben. Deshalb ist das Feuer seit jeher die Strafe für Ketzer – und für Hexen.«
Die Leute bekreuzigten sich. »Die Moorhauptin muss brennen«, flüsterte jemand.
Cornelius wandte sich mit angewidertem Blick von der Menge ab. Er war auf dem Rückweg von einem Patientenbesuch und hatte eine Zeitlang zugehört. Jetzt sah er Johanna am Brunnen stehen und schlenderte hinüber.
»Eine schlimme Sache ist das«, meinte er besorgt. »Sag, kennst du das Geständnis der Moorhauptin?«
»Wieso sollte ausgerechnet ich es kennen?«, wunderte sich Johanna.
»Na, weil dein Verlobter es protokolliert hat. Ich komm grade vom alten Schmeltzing, der liegt seit einer Woche mit einem Gichtanfall im Bett.«
»Ich hab den Hans in den letzten Tagen nicht gesehen.« Johanna war es gar nicht recht, das zugeben zu müssen. Sie bückte sich schnell über den Brunnenrand und füllte ihren Krug. Und tatsächlich legte Cornelius prompt den Finger in die Wunde.
»Ich dachte immer, Verlobte turteln täglich wie die Täubchen?«
»Sei nicht kindisch.« Sie ärgerte sich. »Der Hans hat zur Zeit viel zu tun, und ich auch.«
»Oh, natürlich.« Cornelius grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Man hat mich schon gefragt, welchen Standpunkt die Medizin zu Hexen einnimmt. Ob es eine Arznei gegen Verhextsein gibt oder eine, die den Teufel aus dem Körper treibt.« Er zuckte mit die Schultern. »Als ob Hexerei etwas mit Krankheit zu tun hätte.«
»Die Leute haben halt Angst«, meinte Johanna ruhig. »Du nicht?«
Der junge Arzt seufzte. »Ach weißt du, Hanna, ich hab lange in fremden Ländern und Städten gelebt. Da sieht man vielleicht manche Dinge anders. In Italien zum
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