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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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nachdem der Leibarzt des Fürstbischofs gegangen war, hatte sie die Schachtel mit Spanischer Fliege pflichtschuldigst wieder aufs Dach gebracht. Und dann war ihr die halbe Nacht eine Idee nicht aus dem Kopf gegangen. Heute früh schließlich hatte sie einen der schillernden Käfer herausgenommen und zermörsert. Die winzige Menge Pulver befand sich nun in einem Papiertütchen an ihrem Busen. Natürlich hatte sie vorher genau nachgelesen, wie hoch die Dosis sein durfte, sie wollte ihren Liebsten ja nicht vergiften. Im Gegenteil.

    Sie bog ins Hasengässchen ein und drückte dem blinden Friedel, der immer mit seinem räudigen Hund an der Ecke saß und bettelte, ein Stück selbstgemachten Nusskuchen in die Hand. Der Junge tat ihr leid; er war als Kleinkind mit dem Gesicht ins Feuer gefallen, wie es vielen geschah, deren Mütter keine Zeit hatten, sich zu kümmern, und vergaßen, sie mit dem Leibgeschirr irgendwo anzubinden. Friedel hob sein narbiges Gesicht mit den blicklosen Augen und lachte sie an.
    Hans war noch nicht daheim, also holte sie den großen Schlüssel aus seinem Versteck unter dem Fensterbrett und sperrte die Haustür auf. Drinnen war es kalt, man merkte es in dieser Jahreszeit gleich, wenn tagsüber keiner Feuer machte. Johanna ging zielstrebig in die kleine Küche und stellte ihren Korb auf dem unebenen Steinboden ab. Dann hob sie die irdene Glutglocke von der gemauerten Herdstelle und schichtete trockene Kiefernzapfen und Buchenscheite über die heruntergebrannten Kohlereste. Mit geübter Bewegung ließ sie einen Funken aus Feuerstein und Schlagring auf den Zunderschwamm springen, blies ihn an und steckte ihn unter das Holz. Es dauerte nicht lang, bis die Flammen züngelten. Nun noch den gusseisernen Henkelarm übers Feuer geschwenkt, der an seiner gezahnten Längsschiene von der Rückwand hing, und den mitgebrachten Topf Graupensuppe darangehängt. Johanna wählte einen hohen Abstand zum Feuer, damit die Suppe langsam warm wurde. Dann packte sie den Rest ihrer Vorräte aus: Ein Tiegelchen mit eingemachten Preiselbeeren, die ihr Verlobter so gern mochte, und dazu bereits vorgebratene Blinzen, eine Art saftiger Hefeküchlein. Sie musste sie später nur noch in heißem Schmalz schnell fertigbacken und zuckern. Den Krug Honigwein, der aus dem Keller ihres Vaters stammte, stellte Johanna auf den Tisch der guten Stube, dazu zwei alte Buckelnoppengläser, die sie auf dem Steinsims über der Eckbank entdeckte. Vorsichtig tastete sie nach dem Tütchen in ihrem Mieder. Es war noch da.

    Hans kam erst heim, als es dunkel wurde. Seine Laune schien ausgesprochen gut zu sein; er fasste Johanna um die Taille und küsste sie beinahe liebevoll auf die Wange. Das Abendessen hob seine Stimmung noch, und er erzählte bereitwillig von seinem Tag.
    »Stell dir vor, heut hab ich das Besitzinventar vom fetten Rehm mit aufgenommen, du weißt schon, der sich in der Haft umgebracht hat. Von heut früh bis Schlag sechs haben wir in seinem Haus alles auf den Kopf gestellt. Der hatte Silbergeschirr, sag ich dir, vom Feinsten. Und Pelzschauben, Samtvorhänge, Teppiche aus den Niederlanden, unglaublich! Sogar malen hat er sich lassen, denk bloß, sich und seine Frau! In seinem Kontor haben wir eine ganze Kiste mit Münzen gefunden: Gulden, Reichstaler, Joachimstaler, ungarische Dukaten. Ich hätte nie gedacht, dass man mit Weinhandel so viel Geld verdienen kann.«
    Johanna schüttelte den Kopf. »Mir tun seine Frau und die Kinder leid.«
    »Die? Die sind doch auf und davon. Seit gestern hat sie niemand mehr gesehen. Damit fällt das gesamte Erbe an die Malefizkasse. Ist noch Wein im Krug?« Er schenkte sich und Johanna ein. »Weißt du, ich hab mir schon gedacht, jetzt werden ja immer mehr Häuser in der Stadt frei – da ist bestimmt was für uns dabei … «
    Johanna fand die Vorstellung, im Haus eines Hingerichteten zu wohnen, eher gruselig. Trotzdem umarmte sie ihren Verlobten dankbar, und er ließ es sich gern gefallen. »Wart«, sagte er, »ich hab was für dich. Hätt ich beinahe vergessen. Bin gleich wieder da.« Er stand auf und ging hinaus. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe ins Dachgeschoss.
    Das war die Gelegenheit. Mit zittrigen Fingern holte sie das Pulver hervor und schüttete es in sein Weinglas. Das pudrige schwarze Zeug schwamm oben, und sie rührte es schnell mit dem Stiel des Suppenlöffels unter. Dann atmete sie durch. So, jetzt war es getan! Sie lockerte die Schnüre ihres Mieders und zupfte die Ränder

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