Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
und Kisten. Endlich wurde sie fündig: Ein Spanschächtelchen, auf dessen Etikett »Cantharides« stand – Spanische Fliege. Sie öffnete den Deckel und musterte die länglichen, bläulich grün schillernden Insekten. Gott sei Dank. Sie hatte schon befürchtet, den Leibarzt des Fürstbischofs unverrichteter Dinge wieder wegschicken zu müssen. Jetzt eilte sie die Treppen hinunter, wo ihr Vater schon in der Offizin wartete. Er schüttete fünfzehn der Käfer in einen kleinen Mörser und mahlte sie zu feinstem schwarzen Staub.
»Nicht mehr als eine winzige Prise jedes Mal«, warnte er den Arzt, einen in vornehmes Schwarz gekleideten älteren Mann mit fahlblonden Locken unter der runden Doktorenkappe. »Die Cantharides hilft zwar sehr gut bei versagender Manneskraft, ist aber in zu hoher Dosis äußerst giftig und kann im schlimmsten Fall tödlich wirken.«
»Das ist mir wohl bekannt, Meister Wolff«, antwortete der Arzt etwas beleidigt. »Und – ich muss Euch wohl nicht eigens bitten, die Angelegenheit mit äußerster Diskretion zu behandeln. Seine Eminenz wäre nicht besonders erfreut, wenn man auf dem Marktplatz über diese leidige Sache reden würde. Und Seine Eminenz werden sich natürlich besonders erkenntlich zeigen.«
Abdias Wolff verneigte sich leicht. »Verschwiegenheit gehört zu meinem Beruf wie zu dem Euren.« Er füllte das kostbare Aphrodisiakum aus zermahlenen Käferleibern in ein kleines silbernes Döschen, das der fürstbischöfliche Leibarzt mitgebracht hatte. Dann begleitete er den Physikus höflich bis zur Tür und verabschiedete ihn wortreich. Beim Hinausgehen stieß der Leibarzt beinahe mit Junius und Flock zusammen, die mit finsteren Gesichtern die Offizin betraten.
»Sperr zu, Abdias«, sagte der Bürgermeister. »Es gibt was zu bereden.«
Der Apotheker legte den Riegel vor. »Was Wichtiges?«
»Das kann man wohl sagen. Haan ist verhaftet.«
»Mein Gott. Wann?«
»Gestern. Er sitzt in der Alten Hofhaltung. Und es heißt, er habe schon gestanden.« Flock ließ sich müde auf einen Hocker neben dem Standmörser sinken. »Sie haben den jungen Moorhaupt wieder einmal befragt. Und der hat prompt erzählt, seine Hexentaufe habe auf dem Haan’schen Dachboden stattgefunden, im Beisein des Kanzlers. Der habe bei der Zeremonie das Vaterunser rückwärts aufgesagt und Wein ausgeschenkt. Viele andere seien noch dabeigewesen, und hinterher hätten sie sich alle fleischlich miteinander vermischt, bevor sie durch die Dachluke wieder ausgefahren wären. Hui, oben aus und nirgends an!«
Abdias Wolff holte wortlos drei kleine Zinnbecherlein und eine irdene Flasche unter dem Rezepturentisch hervor und goss selbstdestillierten Schlehenschnaps ein. »Woher wisst ihr das alles so genau?«
Flock lachte bitter. »Der neue Hexenkommissar, Vasold, der säuft. Jeden Abend hockt er stundenlang beim Großkopfwirt auf dem Mönchsberg. Gestern hat sich der Adam Rehm dazugesellt und ihn ausgefragt.«
Junius kippte den Alkohol zu hastig und musste husten. »Hört, Freunde, wenn ich mir bisher nicht sicher war – jetzt bin ich’s. Mit den Moorhaupts ist es losgegangen, drei unserer besten Räte sind tot. Die wollen uns ans Leder. Haan hat sich mit dem Fürstbischof angelegt, und das ist jetzt die Rache.«
Heinrich Flock nickte. »Es muss zu Dornheim durchgedrungen sein, dass Haan nun doch ans Reichskammergericht geschrieben und sich über die Prozessführung beschwert hat. Und diese Beschwerde kann man am besten dadurch entkräften, dass der Verfasser sich selber als Zauberer entpuppt. Da werden die in Speyer sich nicht einmal die Zeit nehmen, darüber zu disputieren.«
»Es ist nicht nur der Fürstbischof«, warf der Apotheker ein. »Es ist dieser Förner. Er ist schlau, und ich halte ihn für gefährlicher als Dornheim. Ein ehrgeiziger Eiferer, hart und böse.«
»Ich weiß nicht, was wir jetzt noch machen sollen.« Junius wirkte erschöpft. »Es geht ja nicht nur um uns selber, sondern auch um unsere Familien. Wenn wir uns weiterhin offen gegen diesen Wahnsinn stellen – wer weiß, welcher von uns dann der Nächste ist.«
Der Apotheker schenkte noch einmal nach. »Mein Gott, warum hat der Haan denn so schnell gestanden? Jetzt ist ihm wohl nicht mehr zu helfen.«
»Wenn du erst einmal verhaftet bist, ist dir sowieso nicht mehr zu helfen, mein Freund.« Flock stand auf und sah misstrauisch zum Verkaufsfenster hinaus, ob nicht jemand die Zusammenkunft belauschte. Dann wandte er sich um und zuckte die
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