Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
dachte über die bevorstehende Zeit in der Fremde nach. Gedankenversunken zerzupfte sie ein paar frisch gesprossene Blättchen Melisse und schnupperte daran. Gerne ließ sie ihren Vater nicht allein zurück, aber sie wusste auch, dass es das Beste für alle war, wenn sie ging. Ihr Blick schweifte über den Garten, die Heilpflanzen, das Spalierobst an der Mauer. Dorothea hatte versprochen, sich um alles zu kümmern, zu jäten und zu gießen. Das war eine Sorge weniger. Eine Frau aus der Theuerstadt hatte sich bereit erklärt, ihrem Vater für einen angemessenen Lohn den Haushalt zu führen. Abdias Wolff hatte hoch und heilig geschworen, dass er in der Apotheke allein zurechtkommen würde, und war fast schon ein bisschen beleidigt gewesen. Ich bin doch noch kein alter Krauterer, hatte er gebrotzelt, worüber machst du dir eigentlich Sorgen? Johanna sah endlich ein, dass sie entbehrlich war. Und inzwischen freute sie sich auch auf das Neue, Unbekannte, das kommen würde. Noch nie war sie weiter gekommen als bis Zeil oder Hallstadt. Amsterdam war eine Metropole, die Niederlande der Nabel der Welt, was Mode, Geschäfte, Politik betraf. Sie hatte sich von Tonis Aufgeregtheit anstecken lassen, und ihre Neugier wuchs stündlich.
»Ich hab gehört, du willst fort?«
Sie fuhr zusammen und drehte sich um. Hinter ihr stand Cornelius.
»Wie kommst du hier herein?«
Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen. »Der Toni hat mich hereingelassen. Darf ich mich setzen?« Er trat näher und ließ sich nieder, sorgfältig auf Abstand zu Johanna bedacht.
Sie sagte nichts, starrte nur auf ihre Schuhspitzen.
Er wartete ein Weilchen, suchte nach Worten. »Wie geht’s dir?«, fragte er schließlich.
»Gut.« Sie fühlte sich nackt vor ihm. So, wie er sie im Drudenhaus gesehen hatte.
»Wann reist du ab?«
»Morgen.« Bitte, dachte sie, geh wieder, geh doch.
Er hätte sie so gerne in die Arme genommen, aber er wagte nicht, ihr näher zu kommen. Die Stunde im Hexenhaus stand zwischen ihnen wie eine unüberwindliche Mauer. »Hanna«, begann er noch einmal, »ich … das alles tut mir so leid.« Ungeschickt streckte er seine Hand aus und berührte ihre Schulter. Sie zuckte zurück. »Lass.«
»Ich konnte doch nicht anders«, sagte er leise. »Sonst … «
Sie fiel ihm ins Wort. »Ich weiß.« Natürlich wusste sie es. Aber es machte die Dinge nicht ungeschehen. Was half es schon, dass sie ihn liebte? Bei jedem Blick in seine Augen würde sie sich entehrt fühlen, nackt und bloß.
Er atmete tief durch. »Ich wollte nur nicht, dass du glaubst … «
»Was?«
»Ich weiß doch, dass du unschuldig bist.«
»Da bist du wohl der Einzige«, erwiderte sie bitter.
»Sie sind alle unschuldig.« Er barg sein Gesicht in den Händen. »Hanna, es ist gut, dass du gehst. Hier muss erst einmal Gras über die Sache wachsen. Aber ich wollte dir wenigstens auf Wiedersehen sagen.«
Sie zwang sich, ihn anzusehen. Es tat so weh. »Ja dann«, sagte sie, »auf Wiedersehen.«
Nach einer Weile stand er auf. Warum nur war ein Abschied so schwer? Er versuchte, aufmunternd zu lächeln, und scheiterte kläglich. Aus lauter Verlegenheit machte er seine komische italienische Verbeugung, über die sie sonst doch immer gelacht hatte. Diesmal misslang sie ihm, es war nicht der richtige Augenblick. Seine Hände wedelten ungeschickt in der Luft. »Buon viaggio, tesoro mio«, versuchte er. »Ci vediamo, magari … « Im selben Augenblick hätte er sich ohrfeigen können. Es war so falsch.
Sie sagte nichts mehr.
Also drehte er sich um und ging.
Als er weg war, rannte Johanna in die Apotheke und sah ihm durchs Fenster der Offizin nach, bis er über den Grünen Markt verschwunden war. Dann fing sie hemmungslos an zu schluchzen.
Am nächsten Tag bestieg sie mit Antoni das Boot nach Frankfurt.
Drittes Buch
Brief Johannas an ihren Vater vom 7.Juli 1628
Guter, liebster Vater, meinen Gruß und Gottes Segen zuvor. Die Reis hat langk gedauert, dieweiln wir zu Cölln zwei Wochen pleiben mußten, weil der Toni das Bauchfieber hatte. Er hat heimlich auff dem Schiff ein verdorbens Fischmus gegeßen, das ihn fast umbracht hett. Tagelangk saß ich bey ime und hab ime löffelweis Kräuter-Absudt geben. Cölln ist schon eine große Stadt, und der Rheyn ein Fluß, in den unsere Regnitz wol zehn mal hineyn gehet. Auch hat Cölln ein Erz-Bischof, der im Rang höher stehet als unßer Fürstbischof, der darff sogar den Kaiser wählen. Ich hab den großen Dom gesehn, mit dem Grab
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