Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
der Heyligen Drei Königk, dort hab ich für den Toni gebetet, daß er wieder gesundt würd. Und der Hergott hat mein Bitten erhöret und den Kleynen wiedrum genesen lassen. So konnten wir die Fahrt fort setzen und sind schließlich wol behaltten in Amsterdamm ankommen.
Der Onkel Mauritz und sein Weib, die Tant Geertje, haben unß mit großen Freuden auffgenomen. Der kleine Pieter, der damalß bei uns war, ist intzwischen groß und ein richtiger Kerl, dick und rund, und hat schon nit mer viel Haar auf dem Kopff. Sie laßen alle gantz schön grüßen. Mein Niederländisch hatt ich schon faßt vergessen, aber es wirdt jeden Tag beßer. Der Toni tut sich schwer, hat er doch die Mutter nit mehr gekannt und nie in ihrer Sprach reden gelernt. Aber er behilfft sich mit Händ und Füß, das gehet auch.
Lieber Vater, du hast Mutters altes Elternhauß noch gekannt, das steht heute nimmer. Die Familie wohnet jetzt in der Kalverstraat, in eim großen neuen Hauß aus rothen Ziegelsteinen, vier Stock hoch, mit schön vertzierten Mauern und eim steilen, hohen Dach. Es ist ein reicher und vornemer Haußhalt, daß der Toni und ich unß wie arme Leutt vorkommen, obwoln wir doch zuhauß in Bamberg zu den wolhabenden Bürgern zähln. Sie haben zwei Mägde und ein Knecht, der die hartte Arbeyt tut. Im Hauß, stell dir bloß vor, sind nit nur die Böden, sondern auch die Wänd gekachelt biß auf die halbe Höh! Blau und weiß, ganz glatt und gläntzend und sauber! Das sieht vil hüpscher aus alß unsere dunklen Holtz-Täfelungen. Es gibt in jedem Raum Teppich, und Vorhäng aus Sammet! Sie haben ein eigens ESS-Zimmer, in dem ist ein Kamin, der nit zum Kochen, sondern bloß zum Heitzen dienet. Und an der Wand über dem langen Tisch hänget ein gemaltes Bild von Onkel Mauritz, Tante Griet und dem Pieter, da schaun sie aus, alß ob sie gleich herausspringen möchten, so wie im Leben ist es. Vor dem Bild ist ein Vorhang, der nur auffgezogen wird, wenn wir beim Eßen sitzen, es darff ja nit schmutzig werden oder ausbleychen.
Alß ich Onkel und Tante ertzält hab, wie es daheimb im Bamberg zu gehet, und wie es mir selbsten ergangen, wollten sie’s erst gar nit glauben. Da hab ich mein Hauben abgethan, und mein geschornen Kopff gezeiget, auf dem die Haar grad wieder sprießen. Die Tant hat mich in den Arm genomen und gewiegt, und der Onkel ist richtig bös geworden. Welch tumbes Volck sind wol die Bamberger, hat er gefragt, daß sie solche Sach zulaßen? In den protestantischen Niederlanden, hat er gesagt, könnt es das nit geben. Es ist ein junges Landt; vor nit einmal zwantzig Jahrn entstanden, alß Spanien, wozu es früher gehörte, es hat auß seiner Herschafft entlaßen müssen. Die Menschen dürffen, Vater stell dir bloß vor, jeder seine Religion haben, grad wie es inen gefällt. So sind, wie der Onkel erzält, ein Drittel der Leut Protestanten der reformierten Kirch nach Calvinus, ein weiters Drittel ist anders protestantisch, so wie der gantze Staat. Das lezte Drittel sind Katholiken wie wir, das stört die Fürsten hier nit. Sie dürfen nur nit öffentlich ihre Gottes-Dienste abhaltten, sondern müssen es für sich in iren Häusern thun, meist auf den Dachböden. Diese Kirchen nennet man dann ›Schlupfkirchen‹. Und anders als zu Bambergk gibt es hier Juden, auch die dürfen unbehelligt nach irem Glauben leben. Die Nederländer nennen das Tolerantz. Niemands machet sich hier Gedancken umb Hexen, Druden oder Unholden. Jeder gehet in Frieden seinen Geschäfften nach und lässet den andern glücklich sein. Vater, ich glaub, hier kann ich das Lachen wiedrum lernen.
Der Toni lässet Dich hertzlich grüeßen. Du fehlst uns gar sehr, und auch die Thea. Umarm sie für unß und sag, ich schreib ihr auch noch. Schreib mir auch, wie es zu Bamberg gehet, denn ich sorg mich teglich um daheimb.
Behüt euch alle Gott! In kindlicher Lieb,
Deine guthe Tochter Johanna.
Geschrieben zu Amsterdamm, am Montag vor Kiliani ao. 28.
Bamberg, Wirtshaus zur Gans
am Grünen Markt, Oktober 1628
Es nieselte. Seit Tagen hingen eintönige graue Wolken wie eine schwere Decke über den Häusern und Gassen der Stadt. Den Regen selber konnte man nicht hören, so fein war er, aber die dicken Tropfen, die regelmäßig von den Dächern fielen und auf dem Pflaster zerplatzten. Hartnäckig kroch die feuchte Kälte in die Stuben, setzte sich fest in Decken und Kissen, machte Bettlaken und Kleider klamm. Zu solcher Zeit herrschte in den Wirtschaften Hochbetrieb.
Trotzdem
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