Die Seelenburg
der Weg frei zur Straße.
Die heiße Angst beeinträchtigte ihr Sichtfeld. Die Straße schien vor ihren Augen Wellen zu schlagen, sie lief aber noch schneller weiter und glaubte, den Vogel passiert zu haben.
Der ließ sie auch.
Dann, als sie schon vorbei war, erhob er sich mit einem fast trägen Flügelschlag. Celine nahm wahr, daß sich hinter ihr die Luft bewegte, drehte den Kopf und wurde noch in der Bewegung vom Flügel getroffen.
Es war ein Hieb, der sie nach vorn und auf den Straßenbelag schmetterte. Der Aufprall war sehr hart. Celine konnte einen Schrei nicht unterdrücken. Dann rollte sie ein paarmal um die eigene Achse, weil die Straße bergab führte, und prallte gegen ein Hindernis, das sie stoppte.
Celine hob den Blick. Sie wollte sehen, wogegen sie geprallt war.
Es waren die Beine des Echsenköpfigen!
In ihr schien der Faden zu zerreißen, der sie bisher noch auf den Beinen gehalten hatte. Der Lebenswille in Celine wurde ausgelöscht, sie gab auf.
Die Echsenköpfigen stießen fauchende Laute aus, die von aus den Mäulern quellenden Rauchwolken begleitet wurden. Gleichzeitig beugten sie sich nach unten.
Noch einmal riß das Mädchen die Augen auf. Sie sah die schrecklichen Gesichter dicht vor sich, und dann spürte sie die Griffe und Zähne überall am Körper.
Es war das letzte, was sie mitbekam, eine gnädige Ohnmacht hielt sie umfangen.
Aber auch die Bestien wurden aufgeschreckt, denn aus Richtung Tiefencastel näherte sich ein Scheinwerferpaar…
***
Eigentlich hieß er Carlo Lei, doch man kannte ihn nur unter dem Namen Don Carlo.
Tagsüber leitete er einen Supermarkt, ein gesundes Unternehmen, denn in den Urlaubsorten versorgten sich immer mehr Touristen selbst, und Carlos Markt war so gut sortiert, daß man dort alles finden konnte, was das Urlauberherz begehrte.
Nach Feierabend kam seine große Zeit. Da wurde aus Carlo der Don Carlo oder Liebling der Frauen. Er verstand es ausgezeichnet, die Damen zu unterhalten, wenn sie allein an den Bars der Hotels saßen. Er wußte aber auch interessant zu erzählen, kannte die Gegend, wußte über die Menschen Bescheid und berichtete über Suchaktionen nach abgestürzten und verschütteten Skifahrern, denn Carlo gehörte gleichzeitig noch der Bergrettung an.
Da war ein bekannter Mann. Im Ort ging die Kunde um, daß er die Flaschen, die sein Hund trug und deren Inhalt für die Geretteten bestimmt war, immer selbst leerte.
Doch das hatte noch keiner beweisen können, man munkelte nur.
An diesem Abend hatte Carlo allerdings noch lange zu tun gehabt und mußte schließlich bei Einbruch der Dunkelheit wieder raus. Man verlangte in Bivio nach ihm. Es ging um einen Liefervertrag, und den wollte sich Carlo nicht entgehen lassen.
Wer die Julierstraße kennt, für den ist sie immer eine Herausforderung an sein fahrerisches Können. Und der braunhaarige, hochgewachsene Carlo mit der Hornbrille kannte jede Kurve zwischen Chur und St. Moritz genau.
Mit seinem silberfarbenen 280er jagte er los, schnitt die Kurven und fuhr, als wollte er einen neuen Rekord aufstellen.
Er kam aus Lenzerheide, hatte bald Tiefencastel erreicht und raste mit unverminderter Geschwindigkeit durch das kleine im Tal liegende Örtchen. Danach ging es wieder hoch.
Serpentinen!
Der Mercedes gab sein Bestes. Carlo hinter dem Steuer grinste. So machte ihm das Fahren Spaß.
Nach den Kurven kam eine Gerade, die weiter nach Gunter und Savognin führte. Don Carlo, Liebling der Frauen im mittleren Alter, kitzelte das Gaspedal. Er blendete auf, weil die Straße vor ihm leer war wie die Geldbörse eines armen Autors.
Der Wagen bekam noch mal Schub.
Die Scheinwerfer warfen ihre gleißende Flut auf die Straße. Carlo konnte verhältnismäßig weit sehen. Ruhig saß er hinter dem Lenkrad. Passiert war eigentlich noch nie etwas, nur einmal hätte er fast einen Zusammenstoß mit dem Postbus gehabt, doch das war auf der Nebenstrecke nach Davos gewesen.
Und dann sah Carlo das Hindernis.
Es lag fast mitten auf der Straße, und er bemerkte auch, wie zwei Schatten in die Luft stiegen und blitzschnell verschwanden.
Don Carlo bremste.
Stotternd nur, denn eine Vollbremsung wollte er nicht riskieren. Zweimal jaulten die Reifen trotzdem. Der Fahrer schaffte es, seinen Wagen vor dem Hindernis zum Stehen zu bringen.
Schon längst hatte er erkannt, daß eine Frau auf der Straße lag.
Bewegungslos.
Don Carlo kannte sich aus. Er fuhr den Wagen rechts ran, schaltete die Warnleuchte ein und stieß
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