Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Isa, die sich zwar in
Deutschland aufhielt, aber ihr am Telefon großzügig verraten hatte, wo sie den
Hausschlüssel für Spontanbesuche versteckte. Dort würden sie den
Schließfachinhalt ungestört auf entlastendes Beweismaterial für Lukas sichten
können, wohingegen in Rom bereits ein Empfangskomitee mit Commissario Grassa an
der Spitze und mit einem weiteren Haftbefehl für Lukas auf sie warten würde.
Lukas
warf einen Blick auf die beiden Lederhüllen auf der Rückbank: „Vielleicht
handelt es sich hier tatsächlich um frühchristliche Dokumente. Was hast du
eigentlich in deiner Handtasche? Du hättest mich ruhig vorwarnen können, ich
hätte sie beinahe fallen gelassen und mir den Fuß zerquetscht“, monierte der
junge Mann, während er die Handtasche auf seinen Knien demonstrativ anhob.
„Halt
den Rand, Lukas, und sieh selber nach. Im Schließfach befand sich noch eine
Stahlkassette mit irgendwelchen alten Papieren und ein paar Münzen",
erwiderte Rabea, während sie sich auf die Straße konzentrierte und dann den
ersten von ihrer Freundin geschilderten Anhaltspunkt entdeckte. Das Haus lag
etwas versteckt und war nicht einfach zu finden. „Da ist die kleine Kapelle, von
der Isa gesprochen hat, sie steht tatsächlich mitten auf der Straße. Hier
müssen wir links runter auf den Feldweg. Gut, hier durch die Allee, an dem
Olivenhain links vorbei. Hier ist es, voilà, das gelbe Haus mit den grünen
Fensterläden. Sieht schnuckelig aus, nicht Lukas? Wie das Haus, von dem wir
immer geträumt haben. Weißt du noch, wie …“ Sie brach den Satz abrupt ab und
Lukas, der ihr bei der Erwähnung des Hauses überrascht den Kopf zugewandt
hatte, sah, dass sie sich heftig auf die Unterlippe biss, als ob ihr die letzte
spontane Bemerkung unangenehm wäre. Rabea spürte seinen Blick auf sich und
setzte die Miene eines Menschen auf, der sich das Träumen schon vor langer Zeit
abgewöhnt hatte. Etwas zu schnell scherte sie dann in die Einfahrt und der kleine
Wagen hüpfte und jammerte über den unbefestigten Boden. Rabea musste voll in
die Bremse treten, um nicht in das Tor der großen Scheune oberhalb des Hauses
zu krachen. Lukas schloss vorsichtshalber die Augen und obwohl angeschnallt,
riss es ihn heftig nach vorn. Rabea riss die Fahrertüre schwungvoll auf, kaum
dass der Wagen zum Stillstand gekommen war. Augenblicklich umfing sie das
ohrenbetäubende Kreischen Hunderter liebeshungriger Zikaden. Vorsichtig
blinzelnd öffnete Lukas seine Augen; er schätzte, dass zwischen Stoßstange und
Scheunentor kein Bibelzitat mehr passte. Rabea war bereits hinten um den Wagen
herumgelaufen und öffnete seine Beifahrertüre. Herausfordernd blitzte sie ihn
an, was nichts anderes heißen sollte als: kein Wort jetzt, griff sich ihre
schwere Handtasche von seinen Knien, schulterte sie betont munter und stapfte
mit energischem Schritt davon, während ihr langer, in der gleißenden
Mittagssonne leuchtender Zopf kampfeslustig hinter ihr her schwang. Lukas fand,
dass er niemanden kannte, der ohne Worte so beredt sein konnte wie Rabea.
Natürlich
erinnerte er sich an das kleine gelbe Haus mit den grünen Fensterläden. Als
Kinder waren sie viel in den Wäldern ihrer Gegend herum gestrolcht, besonders
nachdem sie gemeinsam Herr der Ringe gelesen hatten. Vom Zauber der Geschichte
gefangen, stellten sie sich vor, dass sie beide Hobbits wären, die durch den
verbotenen Wald wanderten und den vielen Gefahren, die zwischen den dunklen
Schatten der Bäume auf sie lauerten, trotzen mussten. Auf einer dieser
Wanderungen war es, dass sie auf einer halb zugewachsenen Lichtung auf ein
verlassenes Försterhaus gestoßen waren. Das Haus wurde durch die Maisonne, die
sich mit langen goldenen Fingern beharrlich ihren Weg durch die hohen Wipfel
bahnte, in ein märchenhaft unwirkliches Licht getaucht. Es war eine Stätte
voller Magie und Geheimnisse und die Kinder fühlten sich tatsächlich in die
zauberhafte Welt der überirdisch schönen Elben versetzt. Gebannt hatten sie
sich dem Haus genähert. Der Garten, einst von einer liebevollen Hand gepflegt,
war verwildert, aber der Frühling entfaltete hier all seine Pracht:
Gänseblümchen, Stiefmütterchen, Tulpen und Narzissen blühten und prunkten
farbenfroh um die Wette und erfüllten die Luft mit lieblichem Duft. Myriaden
von Schmetterlingen hatten sich auf den Blüten niedergelassen und stiegen in
bunten Schwärmen auf und umflatterten neugierig die beiden staunenden Kinder.
Efeu und wilde Rosen
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