Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
missbilligend ihre Miene verziehen. Sie beeilte sich einen
Sicherheitsabstand zwischen sich und ihn zu bringen.
"Bitte
die Herren, bleiben Sie hier und rühren Sie nichts an. Ich sehe einmal nach, ob
Frau von Stetten schon auf ist", forderte sie Vater und Sohn energisch
auf. Dann eilte sie, so gut sie es auf ihren von Krampfadern gepeinigten Beinen
vermochte, die Freitreppe nach oben, durchquerte den langen Korridor, dessen
dicker roter Teppich ihre Schritte verschluckte und klopfte zaghaft an die
letzte Tür des Ganges.
"Kommen
Sie herein, Alma", antwortete eine leise, kultiviert klingende Stimme.
Frau
Gabler hatte die Räume ihrer Arbeitgeberin oft genug betreten, trotzdem nahm sie
stets aufs Neue die Anmut des Raumes gefangen. Es war, als würde man in die verzauberte
Märchenwelt aus Tausendundeinernacht eintauchen. Der Vater der Hausherrin, der
alte Senator Hohenkamp, war früh verwitwet und Evelyn war sein einziges Kind
geblieben. Der Senator war viele Jahre als Botschafter in verschiedenen Ländern
des nahen Ostens tätig gewesen. Wie die meisten Männer seiner Generation konnte
er nicht viel mit kleinen Mädchen anfangen und überließ die Erziehung seiner
Tochter daher den diversen Hauslehrern, aber vor allem dem alten arabischen
Kindermädchen Fatimah. Fatimah konnte zwarkaum lesen
und noch weniger schreiben, dafür quoll sie von mystischen Märchen und
geheimnisvollen Legenden nur so über. Für ein von Natur aus sensibles und schwärmerisch
veranlagtes Kind waren die schwülstige Pracht und die Mysterien des Vorderen Orients
unwiderstehlich, was sich heute in Evelyn von Stettens persönlichen Räumen wiederspiegelte.
Prunkstück des Zimmers war ein Baldachinbett aus Tropenholz, mit
golddurchwirkten Vorhängen. Außer dem Bett und dem Frisiertisch enthielt der
Raum keine Möbel, bis auf zwei Sandelholztischchen, auf denen jeweils eine rote
Venus-Orchidee in einem kostenbaren Gefäß aus Murano blühte. Die dem Bett
gegenüberliegende Wand war mit Trompe-l’oeil-Motiven bemalt worden, die die
perfekte Illusion eines Harems schufen: Halbnackte, atemberaubend schöne Frauen
gruppierten sich um einen Springbrunnen, den paradiesisch bunte Vögel
umflatterten. Der orientalische Stil neigte meist zu schwülstiger Übertreibung
und war nicht jedermanns Sache - vor allen Dingen nicht die ihres Gatten - doch
Frau von Stetten hatte es verstanden, den anmutigen Zauber des Orients
einzufangen, ohne den Raum zu überladen.
Frau
Gabler registrierte erfreut, dass Frau von Stetten bereits angezogen war. Die
Baronin trug, wie an jedem Morgen, einen ihrer wertvollen Kaftane. Dieser hier
war türkisfarben, wie das Blau der Zimmerdecke und mit hunderten kleiner
Spiegelplättchen bestickt, die bei jeder ihrer Bewegungen aufblitzten. Sie saß
vor ihrem Frisiertisch und bürstete sich die blonden Haare, die ihr in weichen,
schimmernden Wellen bis auf die Schultern fielen. "Entschuldigen Sie die
frühe Störung, aber es ist wegen der Handwerker", erklärte Frau Gabler
näher tretend.
"Ja,
ich habe die Türglocke gehört. Haben sie in der Bibliothek schon
angefangen?"
"Darum
bin ich hier. Die Herren sind da auf etwas gestoßen. Die Sache ist die, sie
haben eine Menge alter Bücher gefunden."
"Aber
Alma. Was sollen die Herren in einer mehr als zweihundert Jahre alten
Bibliothek denn anderes finden als Bücher?", antwortete Frau von Stetten
sanft, bemüht, ihrer Stimme keinerlei Ungeduld anmerken zu lassen. Frau Gabler
diente der Familie von Stetten bereits seit mehr als fünfunddreißig Jahren treu
und ergeben und verdiente Nachsicht. Dass sie selbst in Kürze sechzig Jahre
werden würde, ignorierte die Baronin gerne. Evelyn von Stetten hatte sich ihre
zierliche Figur mit eiserner Disziplin bewahrt. Auch ihr Spiegelbild strafte
ihr wahres Alter Lügen, warf es doch das Bild einer gepflegten Frau mit feinen
Gesichtszügen zurück. Der sensible Mund und der seit dem Unfalltod ihres
ältesten Sohnes Alexander leicht melancholische Ausdruck in ihren veilchenfarbenen
Augen, intensivierten noch ihre mädchenhafte Erscheinung. Leider kämpfte ihr
empfindsames Gemüt seit Alexanders Tod gegen die Dämonen der Depression an und
sie hatte bereits zwei längere Aufenthalte in einer exklusiven Spezialklinik
hinter sich.
"Entschuldigen
Sie, Frau Baronin. Ich meinte, dass die Herren die Mahagoniverkleidung
abgenommen haben. Dahinter haben sie eine versteckte Nische voller alter Bücher
gefunden. Das ist alles ganz furchtbar staubig da
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