Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
keinen
Umständen, irgendjemandem etwas von ihrem Fund zu erzählen.
Danach schwang sich Giuseppe selbst und mit knurrendem Magen auf
den alten Bagger und schaufelte die Grube an der Stelle ihrer Grabungen wieder
zu, bevor die anderen Arbeiter zurückkehrten.
Am Abend allerdings plagten Giuseppe schwere Gewissensbisse. Im
Gegensatz zu seinem Capo d´Orazio hatte er das in den Stein eingemeißelte
Monogramm erkannt. Giuseppe entschied, obwohl er dem Capo bei der heiligen
Jungfrau Maria geschworen hatte, niemandem von ihrem geheimen Fund zu erzählen,
zumindest seinen Bruder Ignazio in Rom zu informieren. Er war ein Gelehrter.
Ein Priester, dem er die Entdeckung unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses
anvertrauen konnte und somit den Eid seiner Ansicht nach nicht brach… Und so
geschah es.
Er rief seinen älteren Bruder an und lud die Verantwortung für
seine Entdeckung bei ihm ab. Wie erwartet hatte Ignazio aufgeregt auf den Fund
reagiert und war bereits am selben Abend angereist. Noch am Telefon hatte ihm
sein besorgter Bruder Giuseppe das Versprechen abgenommen, vorsichtig zu sein,
denn der Capo Bauleiter durfte keinesfalls von seiner Anwesenheit erfahren. Im
Ort kannte jeder Ignazio Bentivoglio und das gesamte Dorf war stolz auf den
gelehrten Sohn aus ihren Reihen, der es bis zum Jesuiten in Rom gebracht hatte.
Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich sogar, dass Ignazio einmal Papst werden
würde, bene!
Sie verabredeten sich für Mitternacht bei der kleinen
Marienkapelle. Ignazio kannte die Stelle noch sehr gut aus seinen Kindertagen. Beide
Brüder waren pünktlich zur Stelle. Das Dorf schlief. Vor allem Rosaria, die
Fruchtbare, schlief.
Um unbeobachtet das Haus verlassen zu können, hatte Giuseppe
seiner Frau - Dio möge ihm verzeihen - sein eigenes Schlafpulver in den
Espresso gerührt. Diese List war nötig, denn Rosaria war ein menschlicher
Seismograph. Die geringste Bewegung oder das leiseste Geräusch außerhalb der
nächtlichen Routine, und sie stand senkrecht im Bett. Wenn Giuseppe nachts raus
musste, er hatte einen chronisch entzündeten Darm und häufig Durchfall, null
Reaktion, gemütliches Schnarchen auf der linken Seite des Ehebettes. Einmal
hatte sich Giuseppe auf der Toilette geräuschvoll stöhnend kurz am Tode vorbei
gebollert, Rosaria schlief den Schlaf der Seligen. Erst die gesamte
Kinderschar, die sich angstvoll kreischend im Flur zur Toilette versammelt
hatte, vermochte sie zu wecken. Aber kaum schlich er sich vorsichtig hinaus,
weil er dringend einen nächtlichen Grappa - nur zum Einschlafen - brauchte,
stand Rosaria senkrecht im Bett. Aus reiner Not – Dio war sein Zeuge – hatte er
zu der Finte mit dem Schlafpulver greifen müssen, das ihm der Arzt wegen seines
schlimmen Beins verschrieben hatte.
Die beiden Brüder begrüßten sich mit einer steifen Umarmung.
Ignazio war vier Jahre älter als Giuseppe und um etliches größer und schlanker.
Er wirkte bereits jetzt asketisch, was sich in den kommenden Jahren noch
verstärken würde. Ansonsten sahen sich die Brüder mit ihren dunklen Augen und
Haaren und der ausgeprägten römischen Cäsarennase sehr ähnlich.
Sie hatten sich seit der Taufe von Giuseppes Letztgeborenem vor
knapp zwei Jahren nicht mehr gesehen. Ignazio verdrängte gerne seine einfache Herkunft
und mied sein Heimatdorf. Er wusste seit seiner frühesten Kindheit, dass er zu
Höherem berufen war; seit der ersten Klasse hatte er alle anderen mit seiner
überragenden Intelligenz überflügelt und zwei Klassen übersprungen.
Der junge Lehrer, der ihn an der Dorfschule unterrichtete und ihm
bald nichts mehr beibringen konnte, hatte zufällig einen Cousin, der Jesuit
war. Diesem erzählte er auf einer Familienfeier von dem außergewöhnlich
begabten, leider aus einer mittellosen Familie stammenden Jungen. Aus Neugierde
hatte sich der Cousin den jungen Ignazio angesehen, sein Potential erkannt und
ihn unter seine Fittiche genommen. Er ermöglichte ihm ab der fünften Klasse den
Besuch einer Begabtenschule unter jesuitischer Leitung in Rom. Ignazio
entschloss sich früh, die Kirchenlaufbahn einzuschlagen, fasziniert von den
Möglichkeiten, die ihm der Orden bot. Er studierte in Rom und Jerusalem Theologie,
Geschichte und Orientalistik. Mit 34 Jahren wurde Ignazio Bentivoglio bereits zum
Provinzial der Vize-Provinz Naher Osten ernannt. Seit kurzem war er von dort
zurückgekehrt und leitete nun das päpstliche Orientalische Institut in Rom.
Beide Brüder warfen einen
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