Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
kritischen Blick in den dunklen
Nachthimmel. Giuseppes Bein hatte Recht behalten. Am späten Nachmittag hatte
sich die seit drei Monaten herrschende, drückende Hitze jäh abgekühlt, ein
böiger Wind war aufgefrischt und hatte schwere, regenschwangere Wolken heran getrieben.
Am frühen Abend dann hatte sich ein heftiges Gewitter über dem Dorf entladen.
Der Regen hatte zwar aufgehört, aber alles war von Feuchtigkeit durchdrungen.
Der raue Wind, Vorbote des nahenden Herbstes, pfiff ihnen um die Ohren und
verfing sich in den hohen Wipfeln der Zitterpappeln und Zypressen, die den Hang
säumten. Ein blasser Neumond kämpfte vergebens gegen die dichten Wolken an, kurzum:
es war stockdunkel, fruchtbarer Boden für Konspiration.
Jeder der Brüder hatte daran gedacht, sich mit einer starken
Taschenlampe auszurüsten. In der beinahe zwei Meter tiefen Baugrube würde das
Licht kaum auffallen. Giuseppe hatte zwei Schaufeln mitgebracht und beide
trugen festes Schuhwerk. An Ignazios Schulter hing ein großer Rucksack, aus dem
er ein leichtes Seil aus Nylon, eines wie es Extrem-Bergsteiger benutzten,
hervorzog. Es war nicht seine erste Expedition in eine der Grotten der alten Burg.
Bereits als Kind war er mit den mutigeren unter den Dorfjungen vom Keller der
Ruine aus tief in den Fels des Hochplateaus vorgedrungen. Offensichtlich hatte
Giuseppe heute zufällig den Eingang zu einer weiteren Grotte entdeckt. Ignazio
und Giuseppe kletterten in die Baugrube. Überall hatten sich durch den Regen
tiefe, schlammige Pfützen gebildet. Giuseppe hatte umsichtig die Stelle, an der
sie graben mussten, mit ein paar größeren Kieselsteinen markiert. Die Brüder
verloren keine Zeit und begannen sofort an der markierten Stelle zu schaufeln.
Die lehmige Erde, durchfeuchtet und schwer, trieb ihnen bald den Schweiß auf
die Stirn. Inzwischen hatte es wieder leicht zu regnen begonnen, was die Arbeit
nicht gerade erleichterte. Sie arbeiteten verbissen und stumm. Beide waren sie
von der fiebrigen Erregung des Forschers erfasst worden, der glaubt, kurz vor
der wichtigsten Entdeckung seines Lebens zu stehen.
Zu zweit benötigten sie beinahe eine halbe Stunde, dann hatten sie
es geschafft und die dunkle Steinplatte lag frei vor ihnen. Ungeduldig lenkte
Ignazio seine Taschenlampe auf die Inschrift. Giuseppe hatte sich nicht geirrt.
Es handelte sich bei der Gravur in der Tat um das „Monogramm Jesu“ und zwar in
der alten Form, wie es bis 1998 Bestand haben würde. Erst danach wurde das
Monogramm graphisch neu aufgearbeitet und den moderneren Ansprüchen angepasst.
Der Jesuitenorden ging seit jeher mit der Zeit und viele meinten, dass sie ihr
meist voraus waren. Einige besonders bissige Zungen verstiegen sich sogar zu
der Behauptung, dass die Jesuiten sich im Laufe der Zeit oft selbst überholt hätten
…
Das Monogramm stammte aus der griechischen Schreibweise für den
Namen Jesu, indem es die beiden ersten und den letzten Buchstaben miteinander
verbindet. Ein Strahlenkranz umgab die drei Buchstaben „IHS“, darunter waren drei
Nägel angebracht, die die drei Gelübde der Jesuiten symbolisierten: Armut,
Ehelosigkeit und Gehorsam. Auf Latein war auf dem Stein der Satz eingraviert:
„Ad maiorem Dei gloriam“, übersetzt: Z ur größeren Ehre Gottes . Es war
der Leitspruch des Ignazio von Loyola und stellte den ersten Grundsatz des
Jesuitenordens dar. Nur, jemand hatte nachträglich und etwas ungelenk einige
weitere Buchstaben eingeritzt. Ignazio Bentivoglio wurde blass. Noch einmal las
er alles zusammenhängend: „ Ad maiorem Dei gloriam e Diabolus “, „Zur
größeren Ehre Gottes und des Teufels“ stand da. Ignazio konnte es nicht fassen.
Welch´ ungeheure Blasphemie. Da hatte sich jemand an den heiligen Buchstaben
schwer versündigt. Sein Bruder Giuseppe, der kein Latein, und ohne Brille
sowieso gar nichts lesen konnte, unterbrach das Schweigen: „Und, hatte ich
Recht? Es ist doch das Zeichen der Jesuiten? Was steht da?“
„Ja, du hattest Recht. Das ist einwandfrei das Monogramm der
Gesellschaft Jesu mit dem Leitspruch des heiligen Ignazio.“ Ignazios
Namensvetter hatte beschlossen, seinem tiefgläubigen und gleichzeitig abergläubischen
Bruder nichts von dem im wahrsten Sinne des Wortes teuflischen Zusatz zu
verraten.
„Dann werde ich mal das Stemmeisen holen“, ließ sich der praktisch
veranlagte Giuseppe vernehmen. Sie setzten die Stange am unteren Ende der
Platte an. Der Basaltstein war schwer, aber mit vereinten Kräften
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