Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
schafften sie
es, ihn hoch zu wuchten. Mit einem rauen Knirschen ließ sich der Stein weit
genug auf die Seite schieben und gab eine tiefschwarze Öffnung preis. Der Gestank
von Verwesung schlug ihnen entgegen. Angewidert tat Giuseppe einen Schritt
rückwärts, stolperte über seine am Boden liegende Schaufel und landete unsanft
im feuchten Lehm. Er fluchte laut und vernehmlich. Zwar hatte er sich nichts
getan, der Lehm war durch den Regen weich, jedoch war das Ratschen von
reißendem Stoff in der Stille deutlich zu hören gewesen. Von dem ganzen Dreck,
den er jetzt nach Hause trug, ganz zu schweigen. Dio, wie sollte er das nur
Rosaria erklären. Sie würde ihn über offenem Feuer rösten.
„Musst du immer so fluchen?“, ermahnte ihn Ignazio eher beiläufig,
da sein ganzes Augenmerk bereits dem schwarzen Loch vor ihm galt. Im Lichtkegel
seiner Taschenlampe konnte er eine einfache, an dem rauen Fels befestigte
Eisenleiter erkennen, die in die dunkle Tiefe führte. Mit zusammengekniffenen
Augen versuchte Ignazio einen Grund zu erkennen, doch das Licht seiner Lampe
verlor sich alsbald im Dunkeln. Entschlossen griff er nach dem Seil und band es
sich um die Taille. Ohne darauf zu achten, dass seine Hose dabei schmutzig
wurde, kniete er sich hin und rüttelte an der Leiter, um zu prüfen, ob sie fest
genug verankert war. Dann befestigte er das andere Ende des Seiles an der
obersten Sprosse. Es hatte eine Gesamtlänge von einhundertfünfzig Metern und
das Material war extrem leicht. Die Taschenlampe hängte er sich an einer
Schlaufe um den Hals. Ignazio holte nochmals tief Luft, sprach ein kurzes Gebet
und bekreuzigte sich. Was immer ihn dort unter der Erde erwartete, zur höheren
Ehre Gottes würde er es auch mit dem Teufel aufnehmen. Denn seit er die Blasphemie
auf dem Stein gelesen hatte, hatte sich ein tiefes Sendungsbewusstsein seiner
bemächtigt: Er, der Jesuitenpriester Ignatio Bentivoglio, war heute Nacht nicht
zufällig hier, sondern zur Verteidigung von Gottes Ehre ausgesandt worden.
„Ich werde alleine hinuntersteigen, Giuseppe“, informierte er
seinen Bruder. „Bleib du hier oben und halte Wache. Leuchte mir nur solange,
bis ich dir mit meiner Lampe ein Zeichen gebe, dass ich sicher unten angelangt
bin.“ Aber Giuseppe hörte ihn nicht. Im verzweifelten Bemühen zu retten, was
nicht zu retten war, klopfte er weiter an seinem Hosenboden herum.
„Hör jetzt auf, du verschmierst doch nur alles“, schalt ihn
Ignazio im Ton des großen Bruders, der er war. „Leuchte mir lieber, wir haben
nicht ewig Zeit.“ Missmutig unterbrach Giuseppe seine Bemühungen und trat näher
an den Einstieg heran, um mit sichtlichem Widerwillen in das Einstiegsloch zu
leuchten. Demonstrativ hielt er sich mit der anderen Hand die Nase zu.
Inzwischen war er zu der Erkenntnis gelangt, dass er wohl lieber eine Weile die
Gewissensbisse hätte ertragen sollen, anstatt seinen Bruder in Rom anzurufen.
Trotzdem war er erleichtert, dass dieser ihn nicht aufgefordert hatte, mit ihm
hinunterzusteigen. Allein der Gedanke daran ließ ihn erschauern. Er zog es vor,
auf der Erde zu arbeiten und nicht, darunter herumzulaufen. Im selben Moment zuckte
er zusammen. Ein neuerliches Gewitter kündigte sich mit einem gewaltigen
Donnern an. Ein tagheller Blitz durchzuckte den Himmel, und schon entlud sich
von einer Sekunde auf die andere ein heftiger Regenschauer auf sie. Der
abergläubische Giuseppe sah darin sofort ein schlechtes Omen. Ihm war von
Anfang an nicht ganz wohl bei der Sache gewesen, aber das Gefühl, dass er sich
voll und ganz auf seinen geweihten Bruder verlassen konnte, hatte ihn sich in
einer Art von trügerischen Sicherheit wiegen lassen. Nun jedoch krampfte sich
sein Herz vor Furcht zusammen. Rasch schlug er das Kreuz und hielt seinen
Bruder am Arm fest: „Ignazio, hör mal. Vielleicht war das doch keine so gute
Idee. Ich habe plötzlich ein merkwürdiges Gefühl bei der Sache. Als ob irgendetwas
Schreckliches passieren wird. Vielleicht sollten wir das Ganze einfach sein
lassen. Am besten wäre es, wenn wir das Loch wieder zuschaufeln und die
Angelegenheit vergessen“, versuchte Giuseppe seinen Bruder im letzten
Augenblick zurückzuhalten.
Ignazio schüttelte seinen Arm unwirsch ab: „Papperlapapp, sei kein
Schafskopf. Was soll schon großartig passieren? Du wirst dich doch nicht von
ein bisschen Blitz und Donner einschüchtern lassen?“
Nicht ahnend, dass er damit die letzte Chance vertan hatte, das
kommende Schicksal
Weitere Kostenlose Bücher