Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
wo er es schon einmal gesehen hatte.
Obwohl sie sich völlig allein auf der Baustelle befanden, berieten
sie sich leise flüsternd miteinander, im stillen Übereinkommen einer rasch
geschmiedeten Komplizenschaft. Bevor sie versuchen würden, die Platte mit einer
Brechstange zur Seite zu schieben, hatten sie zunächst vor, um den Stein herum zu
graben. Sie wollten damit ausschließen, dass es sich hier doch um ein Grab
handelte. Denn sie vermuteten eher, dass die Platte den Einstieg in eine Höhle
verschloss, wovon es in der Gegend unzählige gab. Viele der alten Bauernhäuser,
so genannte Rustici, duckten sich wie kleine Käfer am Rande oder mitten auf
einer der vielen Anhöhen dieser hügeligen Landschaft. Und fast alle verfügten
sie über Grotten, die tief in die Hügel
hineingeschlagen worden waren, um als ständige Vorratskeller für Obst, Gemüse
und Wein zu dienen. Auch vom Keller des alten markesischen Adelssitzes aus
führten mehrere Grotten in den Berg hinein.
Giuseppe
setzte den Spaten senkrecht am Rand der freigelegten Platte an und trieb mit
einem festen Tritt seines Arbeitsstiefels den Schaft in die Erde. In einer
Tiefe von circa zwanzig Zentimetern stieß Giuseppe bereits auf felsigen
Widerstand. Er umrundete die Platte mit mehreren
Einstichen seines Spatens und jedes Mal ertönte der Aufprall von Eisen auf
Fels. Beide Männer tauschten einen ärgerlichen Blick. Das bedeutete, dass es
sich hier um kein Grab handeln konnte, insofern der Leichnam nicht stehend im
Boden versenkt worden war. Ein Grab wäre den beiden Konspiranten aber lieber
gewesen, man hätte es einfach versetzen können. Was sie bereits befürchtet
hatten, schien sich nun zu bewahrheiten. Die Steinplatte verschloss einen
Einstieg in den Berg. Dies bescherte Giuseppe und d´Orazio einiges Kopfzerbrechen.
Warum sollte sich jemand die Mühe machen, hundert Meter abseits der Burg eine
Grotte mit einer beschrifteten Basaltplatte zu verschließen?
Nachdenklich kratzte sich D´Orazio die Stirn und der Schmerz, der
von der gereizten Haut ausging, ließ ihn zusammenzucken. Mit nikotingelben
Fingern angelte er sich eine zerknautschte Zigarette aus seiner Hosentasche und
zündete sie an. Mehrmals lief er dann um die Stelle herum und versuchte
sichtlich angestrengt, eine Lösung für das unerwartet aufgetauchte Problem zu
finden.
Giuseppe, dachte der Capo, hat
Recht, dieser Fund stinkt nach Problemen. D´Orazio kannte sich zu seinem
eigenen Leidwesen mit dieser Art von Problem bestens aus, da er in der
Vergangenheit bereits in den Genuss der Konsequenzen eines besonderen Fundes
gekommen war. Zwei Jahre zuvor hatte er in einer anderen Baugrube ein circa
10.000 Jahre altes Skelett ausgegraben und es unvorsichtigerweise dem
Bürgermeister des kleinen Ortes gemeldet. Dieser hatte keine Zeit verloren und
den Fund sofort der zuständigen Behörde in L´Aquila gemeldet, da er lukrative
Pfründe für sich und seine Gemeinde gewittert hatte. Daraufhin hatte es auf
d´Orazios Baustelle von wichtigen Behörden und herumschnüffelnden Archäologen
nur so gewimmelt. Der Neubau wurde, wie nicht anders zu erwarten, auf Anordnung
des italienischen Amtes für Kulturschutz bis auf weiteres eingestellt. Die
Bauherren hatten sich anschließend, was ihnen auch nicht zu verdenken war,
geweigert, d´Orazio die geschuldeten Honorare zu bezahlen. D’Orazio wiederum
hatte die Bauherren auf die bereits von ihm geleisteten Arbeiten verklagt. Bis
zum heutigen Tag hatte er noch keine einzige Lira gesehen. Nur die Avvocati,
die Anwälte, hatten fleißig die Hände aufgehalten und gut daran verdient.
D´Orazio benötigte aber dringend das Geld aus diesem Auftrag, da
sein kleines Bauunternehmen kurz vor der Pleite stand. Er fasste einen
schnellen Entschluss: „Giuseppe, das ist nicht gut. Was immer da unten auch
ist, ich möchte es gar nicht erst wissen. Wenn wir den Fund melden, stellen uns
die Behörden den Bau auf Jahre ein, ich kriege kein Geld und wenn ich kein Geld
kriege, kriegst du auch keines, capisci? Am besten wir schütten das Ganze
wieder zu. Ich erzähle den Deutschen, dass das Schwimmbad nicht so tief werden
darf. Wir hauen eine Schicht Beton darüber. Basta. Ich spreche mit den
Tedeschi, mir fällt schon was ein. Was meinst du, Giuseppe?“
Giuseppe musste nicht lange überlegen. Er dachte praktisch und an
die vier, bald fünf hungrigen Mäuler, die er zu Hause zu stopfen hatte. Er
stimmte seinem Capo zu und beide schwuren sich gegenseitig nie, unter
Weitere Kostenlose Bücher