Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Vor mehr als dreißig Jahren
erhielt ich einen Anruf meines jüngeren Bruders Giuseppe aus Santo Stefano, der
bei Ausgrabungsarbeiten auf eine geheime Höhle gestoßen war. Dort fand ich
diese wunderbaren und zugleich erschütternden Dokumente. Mit Hilfe meines Ordenskollegen
Cattaldo fand ich heraus, dass es sich hierbei um jene Schriften handelte, die
vor über zwei Jahrhunderten aus dem persönlichen Geheimarchiv des 18. und damit
letzten Generaloberen vor dem Verbot, Lorenzo Ricci, verschwanden. Cattaldo
wurde damals kurz nach dem Fund ermordet, ich wähnte mich als nächster und habe
sie daher an einem sicheren Ort versteckt. Bis heute. Darum habe ich Sie hierhergebeten:
Ich bitte Sie die Unterlagen für mich aus diesem Versteck zu holen. Aber ich
muss sie auch warnen, mein junger Freund, es ist eine äußerst gefährliche
Mission. Ihr Onkel musste deshalb sterben, weil er kürzlich auf einen Hinweis
gestoßen ist, wo sie sich befinden könnten. Auch mein langjähriger Sekretär,
Pater Vallone, wurde getötet, angeblich bei einem Unfall mit Fahrerflucht, doch
ich bin sicher, dass es ebenfalls Mord war. Man hat mich im Verdacht und
beginnt, mich zu isolieren. Sie sehen, das Morden begann vor langem und zeigt,
dass die vielköpfige Bestie zur Verteidigung der Machtfülle stets wachsam
bleibt und vor allem: sie vergisst nie. Ich spüre Ihre reine Seele, von
Stetten. Sie haben die Stärke, die Bürde des Wissens um die Dokumente auf sich
zu nehmen.“ Bentivoglio hielt einen Augenblick inne. Seine Stirn glänzte von
ungesundem Schweiß, aber seine Augen blickten nach wie vor klug und klar und er
warf nun seinem jungen Gegenüber über das Glas hinweg einen zwingenden Blick
zu. „Sie werden mir helfen?“
Der junge Jesuit zögerte nur kurz, dann senkte er seinen Kopf als
Zeichen der Zustimmung. Gleichzeitig legte sich ein Hauch von Wehmut auf sein
Herz, als ob er sich an etwas Schmerzliches in der Vergangenheit erinnerte, das
sich allzu bald wiederholen würde.
Bentivoglio nickte bedächtig, dann nahm er seine Bibel von der kleinen
Schatulle und hob den Deckel vorsichtig an. Die Bibel presste er weiter in
einer schützend anmutenden Geste an seine eingefallene Brust. Erwartungsvoll beobachtete
er von Stetten, als dieser sich über das geöffnete Kistchen beugte. Sie war mit
weinrotem Samt ausgelegt und barg in ihrer Mitte einen unscheinbaren,
schmucklosen Schlüssel aus glänzendem Messing, kaum länger als ein Daumennagel.
„Dieser kleine Schlüssel ist die Antwort. Bevor ich Sie in meine
weiteren Pläne einweihe, möchte ich, dass Sie mir auf die Bibel schwören. Niemand
darf von unserem heutigen Gespräch erfahren, es würde ihr Leben und das ihrer
Mitwisser unnötig gefährden. Vertrauen Sie in dieser Angelegenheit keinem.
Schwören Sie dies bei Jesus Christus, unserem Herrn?“ Nach seinem Schwur hatte Bentivoglio
ihm erklärt, dass es sich um einen Schließfachschlüssel handelte, und ihm den
Namen der Bank sowie die Adresse genannt. Als Letztes hatte er erklärend angefügt:
„Sie werden sich zu Recht fragen, warum ich damals den Inhalt des Schließfaches
nicht anonym dem Vatikan habe zukommen lassen oder meinen jetzigen Status als
Pater General genutzt habe, um das wundersame Wiederauftauchen der Dokumente zu
verkünden. Das ist die Tragik meines Lebens, mein lieber Lukas. Wenn etwas
vielleicht noch größer war als mein brennender Ehrgeiz, dann war es meine
Feigheit, mich meiner von Gott gewollten Verantwortung zu stellen. Ich habe Gottes
eigenen Plan sabotiert und mein Leben mit Kadavergehorsam der Institution Kirche
untergeordnet. Die Macht war mein Kerker. Niemand weiß mehr um die Wirkung des
verderbten Einflusses von Machtstreben als ich. Ich habe mich schwer
versündigt, von Stetten. Ich habe in das Antlitz der Macht geblickt und darin
zu spät die Fratze des Teufels erkannt. Der Teufel ist in uns und Macht setzt
ihn frei. Dabei habe ich das Wichtigste vergessen: Dass ich allein Ihm Gehorsam
schulde. In seiner unendlichen Güte hat Er mir erst kürzlich eine
ähnliche, mystische Erfahrung geschenkt, wie unserem heiligen Ignazio von
Loyola, die ihn einst bewegte, die Societa Jesu zu gründen. Ja, es ist wahr,
von Stetten, Gott selbst hat sich mir in einer Vision offenbart und mich an
meine allerheiligsten Pflichten als seinen demütigen Diener gemahnt.“ Die Erinnerung
an seine göttliche Erscheinung ließ Bentivoglios müde Augen aufleuchten und für
einige Sekunden wirkte er beinahe wie in
Weitere Kostenlose Bücher