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Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Titel: Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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erwies sich als trügerisch. Lukas traf der trotz
allem äußerst wache Blick des alten Jesuiten und verlegen senkte er die Augen.
Bentivoglio lehnte sich in seinem Polsterstuhl zurück: „Machen wir es kurz,
Pater von Stetten. Ja, es ist wahr. Ich bin krank, todkrank. Der Krebs wütet in
meinem Körper. Die Ärzte geben mir höchstens noch acht bis zehn Wochen. Aber
das ist jetzt nicht wichtig. Hören Sie mir zu. Ich weiß, dass Sie und Ihr
Onkel, der Bischof Franz sich nahe gestanden haben. Wussten Sie, dass er mich
drei Tage vor seinem Tod hier in Rom aufgesucht hat?“
    „Nein, das hat
er nicht erwähnt“, erwiderte Lukas betroffen.
    „Nun, das hatte seine Gründe. Eigentlich wollte ich viel früher mit
Ihnen sprechen, aber dann wurde ich krank und musste mich einer längeren stationären
Behandlung unterziehen. Ich habe Sie heute hierher bestellt, weil ich weiß,
warum Ihr Onkel sterben musste. Nein, bitte, unterbrechen Sie mich jetzt nicht“,
bat ihn Bentivoglio mit einer beschwichtigenden Handbewegung, als er sah, wie
der junge Mann bei seinen Worten erblasste und aus dem Sessel hochfuhr. „Ich
verspreche Ihnen, ich werde Ihnen keine Antwort schuldig bleiben, aber ich bitte
Sie, sich zunächst in Geduld zu üben. Zuvor habe ich einige Fragen an Sie und ich
erwarte ehrliche Antworten. Keine Ausflüchte oder diplomatisch gefärbte
Heucheleien. Ich muss mir eine klare Meinung über Ihre Gesinnung bilden können.
Selbstverständlich bleibt dieses Gespräch unter uns. Wir stellen es einer
Beichte gleich, somit obliegt alles, was Sie und ich heute sagen, dem
Beichtgeheimnis“, eröffnete ihm Bentivoglio ohne Umschweife und zu Lukas größter
Verblüffung. Fassungslos starrte er den Pater General an. Was hatte dies alles
zu bedeuten und warum wusste sein Gegenüber etwas über die Umstände des Todes seines
Onkels?
    Er würde es nur zu bald erfahren. Alles hatte er erwartet, aber nicht
die folgenden, ungeheuerlichen Enthüllungen.
     
    Nach etwas über zwei Stunden verließ ein zutiefst erschütterter
Lukas von Stetten die Wohnung. Ihm schwindelte von den vielen Gedanken und
Eindrücken, die in seinem Kopf umhertrieben und verzweifelt versuchten,
logisches Land zu erreichen. Zudem hatte Bentivoglios Wissen über den Mord an
seinem Onkel kaum vernarbte Wunden aufgerissen und die Härte des Verlustes
hatte ihn erneut mit voller Wucht getroffen. Da ihm nicht danach zumute war,
schon nach Hause zu gehen, beschloss er, bei einem Spaziergang über das
Gespräch und seine möglichen Folgen nachzudenken. Die Unterredung hatte anfänglich
einem gestrengen Verhör geglichen, war dann in eine leidenschaftliche Predigt
übergegangen, um schließlich unerwartet in ein schockierendes
Schuldeingeständnis Bentivoglios zu münden. Zunächst bezogen sich die Fragen gezielt
auf Lukas Dissertation, in der er versuchte darzulegen, welche fatalen Parallelen
in der geschichtlichen und der politischen Entwicklung dazu geführt hatten,
dass der einflussreiche Jesuitenorden durch den Papst ebenso verboten wurde,
wie der nicht minder mächtige Orden der Tempelritter mehr als 450 Jahre zuvor.
Nach der letzten Frage hatte Bentivoglio ihm lange prüfend in die Augen
geblickt und war dann aufgestanden, um einige Male mit auf dem Rücken
verschränkten Armen vor dem Kamin auf und ab zu wandern. Dann erst ergriff er
wieder das Wort: „Sie müssen verstehen, mein junger Mitbruder, seit mehr als
fünfzig Jahren diene ich der Kirche gehorsam. Nun, am Ende meines Weges
angelangt, sehe ich viele Dinge sehr viel klarer und Sie sehen mich in tiefer
Sorge über die andauernde und beängstigende Entmystifizierung des Christentums.
Sie kennen die Statistiken: Die Kirchenaustritte häufen sich und mancher Gottesdienst
wird vor beinahe leeren Bänken abgehalten. Kinder und Erwachsene finden an der
Religion vor allem eines nützlich: die kirchlichen Feiertage. Zudem bereitet
uns unser künftiger Nachwuchs große Sorgen. Innerhalb von nur fünfzehn Jahren ist
die Zahl der Theologiestudenten, die ein Priesteramt anstreben, um mehr als die
Hälfte gesunken, das Durchschnittsalter der heutigen Ordensfrau liegt bei 75
Jahren. Man feiert den alten und den neuen Papst gleich einem Popstar auf dem
Weltjugendtag, aber kaum jemand der jungen Leute möchte heute noch Priester
werden. Doch genau das ist es, was wir brauchen: mehr junge, idealistische
Priester wie Sie, mein lieber von Stetten. Priester, die der Gefahr, dass der
Glauben in unserer aufgeklärten Zeit

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