Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Und die jäh aufwallende Eifersucht, die den Gedanken begleitete, überraschte ihn. Und machte ihn unsicher. Das Auftauchen einer Seelenfresser-Königin in ihrer Welt untergrub zusehends die Mechanismen, mit denen Colivar seine primitiveren Instinkte in Schach zu halten pflegte. Den anderen Magistern mochte es früher oder später ähnlich ergehen, aber sie waren nicht ganz so gefährdet wie er; der Zusammenbruch würde bei ihnen nicht so schnell erfolgen, und wahrscheinlich würde er sie auch nicht so hart treffen.
Auf jeden Fall standen schwere Zeiten bevor.
»Jemand wird einwilligen«, meinte auch Colivar.
»Wahrscheinlich einer ihrer ehemaligen Liebhaber. Und wenn das geschieht, könnte es unter den Magistern zum Streit kommen, und das wären keine kleinlichen Reibereien, sondern der Auftakt zu einem größeren Konflikt.«
»Was ohne Zweifel ihre Absicht ist. Einfachen Morati würde es sehr schwerfallen, uns zu besiegen. Auch Seelenfressern fiele es nicht leicht. Wenn man freilich Magister gegen Magister hetzt …«
Sula blickte jäh auf. »Du glaubst, sie will uns alle tot sehen?«
»Was immer sie früher für uns empfunden haben mag, jetzt sind wir ihre Rivalen und eine Gefahr für das Reich, das sie offenbar zu errichten gedenkt.«
Sula nickte. Er war nie sonderlich verschlossen gewesen, und nach so langer Zeit als sein Lehrer konnte Colivar gewöhnlich in ihm lesen wie in einem offenen Buch. Doch jetzt gab es Tiefen, die seinem Blick verborgen blieben. Das machte ihm Sorgen.
»Denjenigen, der auf ihr Angebot eingeht, wird sie nicht als Bedrohung empfinden«, erklärte Sula.
Nur wenn sie auch meint, was sie sagt , dachte Colivar. Nur wenn ihr Angebot aufrichtig ist und nicht bloß eine Finte. Sula hatte natürlich die gleichen Bedenken. Warum hätte er seinen Mentor sonst ins Vertrauen gezogen? Colivar fragte leise: »Warst du in Versuchung?«
Sula stieß scharf den Atem aus. »Natürlich war ich in Versuchung! Welcher Magister wäre das nicht? Vergiss die Macht. Vergiss auch die Frau selbst. Wir stehen auf dem Höhepunkt einer Epoche, die unsere Welt von Grund auf verändern könnte, und sie bietet dir an, auf der Welle dieser Umgestaltung zu reiten, anstatt von ihr überrollt zu werden.« Er sah Colivar scharf an. »Hast nicht du mich gelehrt, Abwechslung sei die größte Versuchung für einen Magister? Damals habe ich dich nicht wirklich verstanden, ich war noch zu jung. Heute habe ich ein paar Jahre mehr auf dem Buckel und weiß, was du damit meintest.«
Aber Siderea weiß es nicht , dachte Colivar. Sonst hätte sie zuerst einen der älteren Magister angesprochen. Einen von denen, die gerne die ganze Welt in Trümmern sähen, wenn sie sich damit fünf Minuten Abwechslung erkaufen könnten.
Was wiederum die Frage aufwarf: Warum gerade Sula?
»Wärst du bereit, mir den Traum zu zeigen?«, fragte Colivar. »Zumindest den Rahmen, in dem er stattfand?« Er kannte Siderea lange genug, um zu wissen, dass ihre Träume aufs Kunstvollste gestaltet waren und so gut wie immer auf verschiedenen Ebenen entschlüsselt werden mussten. Sula stand ihr wahrscheinlich nicht nahe genug, um zu wissen, wonach er zu suchen hatte. Anders Colivar.
Sula zögerte. Es war eine hochgradig intime Bitte, und unter normalen Umständen wäre kein Magister darauf eingegangen. Doch dies waren keine normalen Umstände, und so nickte er und sammelte sich. Der ganze Raum begann zu flimmern, und Stück für Stück nahmen Teile seines Traumes Gestalt an. Die Wüste, das Zelt, die Teppiche, die Möbel und endlich die Hexenkönigin selbst. Die Vision war nicht völlig greifbar; man konnte hinter einer Zeltwand den Schatten einer anchasanischen Anrichte erkennen, und Sidereas linkes Bein war dem Geist eines Stuhlbeins überlagert. Aber insgesamt war die Darstellung sehr genau und wirklichkeitsnah, und Colivar kniff die Augen zusammen und studierte jedes Detail. Siderea selbst hob er sich für den Schluss auf.
Wie vertraut sie aussah und doch wie verändert! Selbst in der statischen Vision sah er die wesensfremde Energie aus ihren Augen lodern, eine Kraft, die ihr übermenschliche Züge verlieh, ihr aber auch etwas von ihrem Menschsein nahm. Die Teppiche, auf denen sie stand, kamen ihm vertraut vor, er wusste allerdings nicht mehr, wo er sie schon gesehen hatte. Und dieser Schmuck! Auch der war ihm nicht fremd.
Plötzlich kam ihm die Erleuchtung.
»Tefilat«, murmelte er.
»Was?«, fragte Sula.
»Tefilat. Eine Stadt in der
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