Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
überflog er die Wüste um die verlassene Stadt und untersuchte mittels seiner Zauberkünste jedes einzelne Sandkorn. Auf der Suche … wonach? Irgendeiner Falle? Einem Zeichen, dass sie derzeit hier war, obwohl ihm Kamala das Gegenteil versichert hatte?
Noch während dieses Erkundungsfluges war ihm klar, wie sinnlos seine Anstrengungen waren. Tefilat vibrierte von so vielen Restenergien, dass es schlechterdings unmöglich war, die ein oder zwei Signaturen herauszufinden, die von Bedeutung sein mochten. Es war, als wären hundert Hexen und Hexer vor Ort und wirkten alle gleichzeitig ihre Zauber … und das auch noch stümperhaft. Bruchstücke uralter Macht hingen wie eine Staubwolke in der Luft und erschwerten die Sicht. Abgerissene Bannsprüche, gescheiterte Anrufungen, erfolglose Beschwörungen: Zeichen eines längst vergangenen Krieges. Hier nach Hinweisen auf einen Hinterhalt zu suchen war so, als suche man nach Hinweisen auf Haie in einem wogenden, sturmgepeitschten Meer.
Als er endlich landete, brauchte er ein paar Sekunden länger als sonst, um seine menschliche Gestalt wieder anzunehmen. Die letzten Federn wollten sich nicht zurückziehen, und als sie endlich absorbiert worden waren, fühlte die Haut sich rau an. Tefilats Wirkung schien sich seit seinem letzten Besuch vor vielen Jahren verstärkt zu haben. Vielleicht rebellierten auch nur seine Nerven. Jedenfalls schien im Moment niemand hier zu sein. Er suchte die Gegend zur Sicherheit noch einmal ab und strebte dann der Stadt zu. Unterwegs umgab er sich mit Magie, um sich vor neugierigen Blicken zu schützen. Wobei die Götter alleine wussten, ob ein solcher Zauber an diesem Ort überhaupt wirkte.
Die Schlucht war uralt, ausgewaschen von einem Fluss, den die Erde längst verschlungen hatte. Lediglich geisterhafte Erinnerungen an Wasser hafteten noch an dem schmalen Bett im Zentrum. Die Wände waren farbenfroh, durchzogen von rost- und orangeroten und an einer Stelle sogar leuchtend rosafarbenen Streifen, die manchmal so glatt übereinanderlagen, als wären sie gemauert, und sich dann wieder zu bizarren Kurvenformationen aufwölbten. Er wusste von früheren Erkundungen, dass jeder Streifen in einer anderen Epoche entstanden war und sowohl Überreste aus der jeweiligen Zeit als auch schwache Resonanzen aller Wesen bewahrte, die damals hier gelebt hatten. Die Vorstellung hatte ihn früher einmal fasziniert, jetzt wollte er sich nur noch vergewissern, dass in den schattigen Höhlen und Spalten nichts anderes lauerte als die unvermeidlichen Schlangen und Eidechsen.
Alles war, wie es sein sollte, und er fand keine Spuren magischer Aktivität aus neuerer Zeit.
Endlich erreichte er Tefilat selbst. Obwohl er bereits mehrmals hier gewesen war und wusste, was ihn erwartete, überwältigte ihn der Anblick der Stadt. Nicht allein wegen ihrer Pracht, sondern weil sie in einer Zeit entstanden war, in der es keine Magister gab und jedes magische Werk nach Menschenleben bemessen wurde.
Genauer gesagt, nach Menschenleben, die einen Namen trugen.
Die Hauptgebäude waren direkt aus der Klippenwand herausgehauen worden und hatten erstaunlicherweise dem Zahn der Zeit standgehalten. Waren von Besuchern vor Kurzem neue Hexenkräfte in den Stein eingebettet worden? An der Fassade haftete zu viel verblasste Macht, folglich konnte er nicht sicher sein.
Als er den breitesten Teil der Schlucht erreichte – den Stadtplatz sozusagen –, blieb er kurz stehen und lauschte. Nichts sonst. Alles war still, lediglich in der Ferne säuselte leise der Wind. Er kniete nieder, beschwor ein wenig Seelenfeuer, formte es zwei Mal um, damit auch alles stimmte, und ließ es zu seinen Füßen in den Boden sinken. Dann schloss er die Augen und nahm die Bilder auf, die es für ihn sammelte.
Vor Kurzem waren hier Nomaden durchgezogen. Er erkannte die kräftig gestreiften und mit geflochtener Schnur gesäumten Wüstengewänder: Hom’ra. Sie brachten mit Eseln Vorräte in die Stadt und luden sie ab. Schwere Amphoren, mit Wachs verschlossen, machten den größten Teil der Lieferung aus, dazu Körbe, die vermutlich Lebensmittel enthielten. Einigen Amphorenverschlüssen waren Siegel aufgedrückt, die ihm fremd waren.
Interessant.
Er folgte der Spur der visionären Nomaden zu dem größten Gebäude im Komplex. Es hatte zwei Stockwerke, der Haupteingang wurde von Säulen flankiert, der Fries darüber stellte eine mythologische Schlachtszene dar. Er hielt kurz inne, betrachtete die Abbildungen und
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