Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Vorteil.
Nachdem sie die oberen Fenster kurz auf Abwehrzauber überprüft hatte – es waren keine vorhanden –, schlüpfte sie ins Innere und kehrte in ihre menschliche Gestalt zurück. Hier gab es viel Staub, und der Wind hatte an den Wänden Dünen aus feinem rötlichem Sand aufgehäuft. Sie sah keine Fußabdrücke, auch sonst wies nichts darauf hin, dass in letzter Zeit jemand hier durchgekommen war. Aber das hatte nicht viel zu sagen. Sie selbst glättete mittels Zauberei den Staub hinter sich, um keine Abdrücke zu hinterlassen; das hätte auch jemand anderer tun können.
Vorsichtig durchquerte sie das Stockwerk Raum für Raum und suchte … wonach? Wonach hielt man Ausschau, wenn man einen verschwundenen Magister finden wollte? Hier oben gab es nichts von Interesse. Ein Stockwerk darunter konnte sie Colivars Spur wieder aufnehmen. Er war offenbar auf seinen eigenen Beinen durch dieses Gebäude gegangen. Zumindest das war ein gutes Zeichen. Sie folgte seiner Fährte in einen Raum voller Möbel und Vorräte. Er schien nichts angefasst zu haben, und sie konnte auch nirgendwo Reste seiner Zauberkräfte entdecken. Keiner dieser Gegenstände war für ihn von Bedeutung gewesen.
Ihr waren sie ebenfalls gleichgültig.
Sie drang weiter in das Höhlensystem vor und kratzte immer wieder Zeichen in die Wände, um später den Rückweg finden zu können, denn sie wollte hier nur dann Magie anwenden, wenn es gar nicht anders ging. Licht musste sie zwar beschwören, nachdem sie die vorderen Räume verlassen hatte, aber sie beschränkte sich auf ein Minimum und band es an ihren eigenen Körper, um keine Spuren zu hinterlassen. An diesem Ort sollte so wenig von ihrer Resonanz zurückbleiben wie nur irgend möglich.
Hier wirst du ihn nicht finden , sagte sie zu sich selbst. Bestenfalls entdeckst du einen Anhaltspunkt, der dir sagt, wo du als Nächstes suchen sollst …
Irgendwann schien es nicht mehr weiterzugehen. Der Tunnel, dem sie gefolgt war, mündete in einen kleinen Raum, dessen Rückwand eingestürzt war. Ein steiler Schuttberg versperrte den Weg. Colivars Spur führte geradewegs auf den Berg zu und verschwand darin. War der Durchgang offen gewesen, als Colivar hierhergekommen war? Konnte ihn die Lawine überrascht und unter sich begraben haben? Das wäre ein schmähliches Ende für einen Magister , dachte sie sachlich. Und eine ernüchternde Erinnerung daran, dass Zauberer trotz ihrer übernatürlichen Kräfte ebenso verwundbar waren wie die Morati, wenn sie überrascht wurden. Um Zauberkräfte zu mobilisieren, brauchte man Zeit und Konzentration, und wenn man nicht genügend Zeit hatte oder sich nicht richtig konzentrieren konnte, war auch eine noch so starke und ausgeklügelte Abwehr wirkungslos. Dann starb man genau wie Kostas in jener Nacht, als Gwynofar ihm den Kopf abgeschlagen hatte.
Enttäuscht starrte sie den Schutthaufen an und überlegte, wie sie weiter verfahren sollte. Das Hindernis war auf jeden Fall zu massiv, um es mit ihrer Hände Arbeit zu beseitigen. Aber eine solche Masse mit Zauberei wegzuräumen oder verschwinden zu lassen, erforderte große Mengen Energie, und sie wollte mit ihrer Macht nicht so verschwenderisch umgehen, solange sie nicht genau wusste, was hier geschehen war. Wenn sie nur mit ihren Sinnen in den Schutt eindringen und nach einem toten Körper suchen würde, könnte sie zumindest feststellen, ob Colivar hier sein Ende gefunden hatte. Damit wäre sie immerhin einen Schritt weiter.
Sie hatte gerade begonnen, ihre Zauberkräfte für dieses Unternehmen zu sammeln, als sie zwischen den Steinen etwas blinken sah. Sie bückte sich und zog einen kleinen Metallgegenstand heraus.
Ein silberner Ring.
Eifrig wischte sie den Schmutz ab, um ihn genauer betrachten zu können. Sie erkannte ihn sofort, und ein Schauer überlief sie. Diesen Ring hatte Colivar am Tag ihres Picknicks getragen. Zitternd schloss sie die Hand um das Schmuckstück und drückte es gegen ihre Handfläche. Was sollte sie tun, wenn er wirklich tot wäre?, fragte sie sich. Wer würde sie dann durch das Labyrinth der Magisterpolitik führen?
»So viele Gäste.« Die Stimme kam von hinten. »Ich hätte Erfrischungen bereitstellen sollen.«
Kamala fuhr herum und beschwor dabei ihre Macht. Jedenfalls versuchte sie es. Doch ihre Beine waren seltsam taub und wollten ihr nicht gehorchen. Sie fiel hart auf den rauen Steinboden und prellte sich schmerzhaft die Knie. Die Macht entglitt ihr, sie konnte sie nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher