Die Seelenpest
Schriftsteller kennt und vieles mehr, von dem ich noch nie etwas gehört habe.«
William lachte. Man sah die schlechten Zähne.
Lady Alice reichte William ein Stück Rhabarber. Er nahm es in den Mund, mümmelte daran, als sei er zahnlos, und verzerrte das Gesicht.
»Das Leben ist auch sauer, William. Man muss das Süße mit Bedacht und Mühe herausziehen, das Nahrhafte, das, wofür es sich zu leben lohnt, die Bürde bis zum Ende tapfer tragen.«
William nickte eifrig.
»Und dennoch darf man auch Träume haben«, sagte er. »Ich bin in dem Alter, wo man sich umschaut, hochverehrte Dame Alice. Es ist Zeit. Ich bin kein schöner Mann, das weiß ich.«
»Sie haben Pech, Monsieur«, sagte die Dame und legte den Kopf ein bisschen schief. Sie lachte, durchaus ein wenig schadenfroh. »Verzeihen Sie! Sie wissen doch, wie ich das meine!«
»Sie sollen für mich werben, Dame Alice. Auf Sie hört das gute Kind. Wenn Sie ihr sagen, dass ich was tauge, wird sie vielleicht…«
»Was?«
»Weniger spröde sein, sobald ich ihr begegne.«
»Ist sie das?«
»Ich meine schon.« Er schmollte, halb gespielt. »Dafür, dass ich im Hause Morland als guter Inwohner eine hohe Position beziehe, wie ich glaube, behandelt sie mich eher…«
»Kühl? Und woran denken Sie, wie sich das Mädchen anders zeigen könnte?«
»Sie könnte lächeln«, sagte Gills. »Sie könnte mich fragen, ob ich etwas essen oder trinken möchte. Sie könnte frauenhafter sein, ein bisschen schwächer, wie Frauen eben sind normalerweise.«
Die Zimmertür sprang auf. Thomas kam herein, er blickte zornig.
»Haben Sie was ausgefressen, William?«, fragte er. »Sie sehen so aus.«
Lady Alice lachte. »Er ist verlegen.«
»Er ist mein bester Anwalt!«, sagte Thomas, nahm sich einen Becher und goss aus einer Kanne Wasser hinein. »Du solltest ihn in Westminster sehen und hören oder am Gericht. Wie er dort reden kann. Du würdest ihn nicht wiedererkennen.« Er trank. »Hat sie gerufen?« Er deutete zur Zimmerdecke.
»Margaret? Nein. Ich gehe nachher hoch und bringe ihr etwas Brot.«
»Du verwöhnst sie bloß. Sie soll fühlen, dass ich damit etwas sagen will.«
»Das meint er gar nicht so«, erwiderte sie mit Blick zu Gills.
»Misch dich nicht ein, Frau!«, versetzte er und stellte den leeren Becher ab. »Diese Dame ist die beste Ehefrau, die man sich wünschen kann, William. Wenn schon der eigene Charakter wenig taugt, braucht man einen starken Engel an der Seite, der wachsam Grenzen steckt.«
Lady Alice machte einen kurzen, mädchenhaften Knicks.
»Ich komme soeben aus Westminster. Die Kommission hat getagt, wenn man es überhaupt so nennen will. Ich werde diesen Pinchbeck töten, mein Wort, den Bischof auch, Leonard Reed, mit einem kleinen Messer, damit es länger dauert. Der Bürgermeister hatte es nicht nötig, zu erscheinen. Statt dieser Meute wären ein paar Hühner, Ochsen, Igel nützlicher gewesen und weitaus angenehmer…«
Er griff in den Rhabarberhaufen und nahm sich eine Hand voll. Er kaute, ohne das Gesicht zu verziehen.
»Das Wasser steht mir bis zum Hals. Man hat schon wieder Tote gefunden, vier Lateinschüler. Heute Morgen, diesmal im Westen, hinter Paddington. Nimmt das denn gar kein Ende? Wie viele sind es jetzt, seit es angefangen hat? Die Jungen lagen heute Morgen in einem Koben, schon von den Schweinen angefressen. Man will es sich nicht vorstellen. Vergiftet, wie es scheint, mit eigener Hand vergiftet. Ein Brief war diesmal nicht zu finden.«
»Und wenn es doch Luthers Leute sind?«, bemerkte Alice.
»Bestimmt nicht!«, erwiderte Gills.
Thomas sah ihn verwundert an.
Gills wurde bleich. »Luther ist sehr gottesfürchtig. Er hasst den Papst.«
»Hört, hört!«, sagte Thomas mit veränderter Stimme. »Wie gut, dass ich das auch erfahren darf, als Sekretär des Königs, der Briefe wider Luther schreibt. Damit der Papst den König weiter unterstützt. Wie gut auch, dass wir unter uns sind.« Er fixierte Gills scharf. »Mein eigener Inwohner ist ein Antirömer, ein Papistenfresser! Mir wird ja angst und bange! Ist das bei Ihnen Überzeugung, Sympathie, Verwirrung, Gotteslästerung? Sind Sie königsmüde, William?« Er war laut geworden. »Ich schreibe mir die Hände wund gegen diesen deutschen Mönch, und Sie haben die Stirn zu sagen, der Mann sei brav und redlich…«
»Gottesfürchtig, Sir.«
»Spalten Sie kein Teufelshaar, ich warne Sie! Meine Laune ist mit dünner Haut umspannt.«
Lady Alice ging zu ihm und legte ihm die
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