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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Hand auf die Schulter.
    »Es ist nur meine Schuld«, sagte sie. »Ich hätte das nicht sagen dürfen, das mit Luthers Leuten. Es geht mich gar nichts an. Verzeih mir bitte!«
    »Dir gerne. Aber ihm?« Thomas wurde seltsam still. Die Dame hatte das Messer auf den Tisch gelegt.
    Gills muckste sich nicht mehr. Er hatte die Hände vor den Bauch gefaltet.
    »Nicht dass ich Ihre Überzeugung teile, Gills«, sagte Thomas nach einer zähen Weile. »Aber natürlich habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht, ich meine solche, die man nicht ins Protokoll schreibt. Natürlich muss Schluss sein mit dem Geld, das überall verdient wird mit dem Heilsversprechen. Es ist zum Kotzen! Andererseits, wie sollen wir denn die Herrschaft halten? Wenn jeder Bauer auserwählt ist für das Paradies… die Menschen alle gleich, nein, niemals, Unsinn. Machen Sie die Augen auf, Gills! Schauen Sie sich die Menschen an! Wollen Sie mit diesem Abfall gemeinsam in den Himmel ziehen?« Er schüttelte sich.
    Gills schmatzte.
    »Brav, dass Sie jetzt schweigen. Das rechne ich Ihnen hoch an, William. Ich will alles vergessen, es ist nichts geschehen, ich habe nichts gehört. Wir sind unter uns. Dies ist mein Haus, ich bestimme, was wir tun. Wir verstehen uns. Wenn auch nur ein Wort nach draußen kröche, wäre ich erledigt. Wir vertrauen uns, wir kennen uns.«
    »Natürlich, Sir«, sagte Gills und hatte wieder etwas Farbe.
    »Wie schön, dass wir eine Familie sind«, setzte Lady Alice hinzu und nahm die Arbeit wieder auf. »So schützt man sich. Wir sehen doch, wie es draußen zugeht. Niemand kann bei Nacht auch nur einen sicheren Schritt tun, auch bei Tage nicht! Gesegnet, wer ein festes Haus hat, ein trockenes Dach und gute Menschen und gesunde Tiere. Die Familie ist das Teuerste, William…«
    »Das unterstütze ich«, sagte Thomas und sah Gills forschend an. »Hören Sie mir zu, William, guter Freund. Ich sage das mit Überlegung. Sie sind Anwalt, Sie könnten mir einen guten Dienst erweisen. Ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll…«
    »Ihr Diener, Sir«, schnarrte Gills und verbeugte sich im Sitzen.
    »Sie könnten… Dieser Mann, der vor ein paar Tagen randaliert hat, Sie erinnern sich vielleicht. Johan Whisper ist sein Name. Er sitzt in Newgate Prison ein, es geht ihm schlecht. Ich schwöre, ich habe niemandem gesagt, dass man ihn schlagen soll. Irgendjemand muss ihn furchtbar zugerichtet haben. Das Problem ist, William, dass ich ihn jüngst verhört habe, in Westminster. Ein paar Mal sogar. Es gibt auch Protokolle, ganz ordentlich, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Trotzdem. Natürlich wird man fragen, was da los gewesen ist.« Er griff sich an die Nase und schnäuzte sich. »Der Mann ist schuldig, daran besteht kein Zweifel. Wenn Sie mir vielleicht die behördliche Absolution erteilen könnten, ich nenne es mal so. Sie verstehen, was ich meine, in Form eines anwaltlichen Schreibens, eines Postskriptums zum Protokoll, eine Notiz, die sicherstellt, dass ich den Angeklagten im Sinne der Gesetze befragt und angehört habe…« Er hustete. »Ich würde mich erkenntlich zeigen, William.«
    »Wie?«, fragte Gills.
    Thomas zögerte. »Als Vater…«
    Gills’ Mund zuckte.
    »Ein ordentliches Schreiben«, fuhr Thomas fort, »das wir dem Protokoll beifügen können. Damit die liebe Seele Ruh hat. Sie kennen diese Untersekretäre, für die die Welt aus Tinte ist.«
    Gills nickte langsam. Er nahm wieder ein Stück Rhabarber, aß es und verzog den Mund.
    »Johan Whisper?«, fragte er. »Der Vater dieses frechen Bengels?«
    »Sie sagen es, mein Freund! Ein unverbesserlicher Lügner, ein Spinner vor dem Herrn, ein hochbegabter Unhold, der virtuos die Feder schwingt. Er hatte als Skribent im Rathaus einen gewissen Namen. Das sind die Übelsten!«
    »Kanntest du ihn nicht privat?«, fragte die Dame.
    »Red keinen Unsinn, Frau!«
    »Ich dachte nur…«
    »Kochen, waschen, denken!«
    »Verzeih mir bitte!«, bat sie.
    »Ich liebe meine Kinder, William«, sagte Thomas. »Denken Sie nicht, ich wollte Margaret quälen. Ich habe Gründe, dass ich sie im Haus behalten möchte. Für eine Weile.«
    Gills sah ihn irritiert an.
    »Sie hat sich da auf etwas eingelassen…«
    »Er ist jetzt müde«, fiel Lady Alice ihm ins Wort.
    »Warum sagst du das?«
    »Bist du nicht müde?«
    »Ein bisschen.« Er leckte sich die grauen Lippen nass. »Mit dreiundvierzig ist man alt in dieser Welt. Sehr alt und müde, lieber Freund. Verzeihen Sie…«

24. K APITEL ,
    in welchem

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