Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
Vom Netzwerk:
weg von hier, ihr könnt mir nicht mehr helfen. Nehmt den da mit!« Er spuckte in Gills’ Richtung aus. »Sie sind doch stärker. Wir haben keine Chance und wir sind keine Helden.«
    »Meinst du, wir sind Kinder?« Gregor war empört. »Ich nicht, das werde ich beweisen. Ich werde meinen Patenonkel töten, ich schwöre es.«
    »Lass den Quatsch!« Search stieß Gregor in die Seite.
    »Wir beten«, sagte Andrew. Er stellte das Licht auf einen Stein. »Herr, wir sind in deinen Händen. Du weißt, wie schwach wir sind und wie verletzlich. Wir beugen uns deinem Willen.«
    »Ich kann nicht beten«, sagte Gregor. »Ihr werdet von mir hören.« Er sprang auf und rannte hinaus.
    Gills hockte totenbleich am Boden. Er zitterte erbärmlich, bat um Wasser. Andrew nahm einen Krug und ging zu ihm, hielt ihm den Krug an seinen Mund, so dass er trinken konnte. Das Wasser lief Gills übers Kinn und tropfte silbern auf den Boden.
     
     
    D ER Z ORN BESEELTE G REGOR , und er hatte dennoch Angst vor dem, was er sich vorgenommen hatte. Das Atmen tat ihm weh. Er hatte so viel Wut, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er rannte ein Stück geradeaus, die Straßen waren voller Menschen, Water Mark Lane, dann Tower Street in abendlicher Richtung. Zur Linken lag die Themsebrücke.
    Er sah die Silhouette der wuchtigen Gebäude obenauf. Es war ein Riesenlindwurm, der mit hundert Feueraugen in den Abend blickte und mit seinen schweren, runden Beinen durch das Wasser lief, um alles zu verschlingen, den Lärm, Gestank und Dreck, die Menschen, Häuser, Kirchen und Paläste, die Gefängnisse und Hurenhäuser, Kneipen, Wasserbrunnen, Schweine-, Ziegen-, Pferdeställe und Kasernen, Whitehall, Westminster, das New Inn ohnehin und St. Pauls, den blutigen Tower und ganz Southwark auf der anderen Uferseite, The Bear Garden, alle Mühlen, Bauernhöfe und Ziehbrunnen von Bermondsey bis Vauxhall, alles, alles!
    Gregor hechelte, hustete, stieß Leute an und rannte weiter. Er wusste, dass er jederzeit irgendeinem Söldner in die Arme laufen konnte, dann war’s vorbei. Aber er wollte rennen. Er überquerte Fish Street und hatte keine Luft mehr. Er weinte laut, die Leute gafften. Er lief nach links, zum Fluss, zur Brücke. Die Boote waren nur noch dunkle Flecken, die letzten Barken legten an. Er wurde langsamer, er konnte nicht mehr. Der Fluss, die Stairs, die Stege. In der Erinnerung seine Mutter, wie sie ängstlich rief, während der Pate sie verfolgte. Die Rufe klangen echter als der Straßenlärm.
    Der Himmel war jetzt dunkelgrau. Hier und da fiel etwas Licht aus einem Fenster, draußen auf dem Fluss war nichts mehr, nur drüben auf der anderen Seite glimmten ein paar gelbe Lampen.
    Er ging den Fluss entlang, bis er im letzten Licht den langen Wimpel mit dem Schwankopf, Helm und Federschwanz erkannte. Der Steg des Paten!
    Draußen in dem Boot war jemand zu erkennen. Greg hörte Hämmern, lautes Fluchen. Ein Mann war dort. Gregor schlich näher und spähte. Dann sah er ihn. Da war noch jemand bei ihm, wie ein Gespenst, nur fahler Umriss und Bewegung. Das Wasser gluckste, sie redeten.
    Gregor zog ein Messer aus dem Schaft. Messer zu tragen war innerhalb der Stadt nach Sonnenuntergang streng verboten. Er trug es immer bei sich. Er stach es in die Luft, wirbelte umher und drohte spielerisch. Er lachte bitter und blickte zu dem Boot. Inzwischen war es finster. Die Männer würden jetzt das Boot verlassen, sie würden über den Steg an Land gehen, im Dunkeln, ihre Stiefel etwa in Höhe seiner Schultern. Sie würden dicht an ihm vorübergehen, einen Griff weit weg.
    Sie kletterten vom Boot herunter auf den Steg, er hörte ihre Schritte. Er duckte sich, sie kamen näher. Es blitzte. Sie trugen eine Laterne bei sich. Das Licht flog in die Dunkelheit, es spritzte lustig aus dem Wasser hoch. Die Bohlen knarrten, die Stiefel waren Schatten. Gregor blickte schräg hinauf, tauchte tiefer weg, um nicht ins Lampenlicht zu kommen. Das Messer hielt er fest umklammert. Er hasste seine Angst. Er atmete nicht mehr, er lauschte angespannt, sah nichts Genaues. Aber die Geräusche waren nah, er fühlte sie.
    Er wollte diese Rache und schmeckte seine Wut im Mund, sie trommelte in seiner Brust, sie schrie ihn an, die Hand zu heben, in der das Messer war. Als er das Licht dicht vor sich sah, schloss er die Augen, hob die Hand und holte aus, so weit er konnte…

34. K APITEL ,
    in welchem eine Wahrheit an den Tag gelangt
     
     
     
    »Und ich bin wirklich wieder frei?«

Weitere Kostenlose Bücher