Die Seelenpest
Margarets jüngste Schwester, Elizabeth. Sie blickte ernst, streckte die Hand vor, in der sie etwas Helles mit scharfen Kanten trug.
»Ein Stück Papier, Vater«, rief sie mit ihrer Kinderstimme. »Es ist soeben in den Hof geflogen, wie ein Vogel, vom Himmel auf die Erde…« Sie hielt es ihm entgegen. Sie machte einen hübschen Knicks und reichte ihm das Vogelding. Er dankte sehr, faltete es auseinander.
»Was ist es, Vater?«, fragte Margaret.
Seine Stirn war tief gefurcht. »Ein dummer Scherz. Nein…« Er legte das Papiergebilde auf den Tisch und zog es glatt. Die Magd flennte, weil sie das Stück Haut und auch das Leinen nicht berühren wollte. Margaret beugte sich vor und las die große, schwarze Schrift auf dem gefalteten Papier.
LASST JOHAN WHISPER FREI,
SONST WIRD DER SOHN MICH TÖTEN
GILLS.
Ihre Lippen wurden fahl, auf ihren Wangen flammten Flecken. Sie ging zum Tisch und stützte sich. »Vater, ich verstehe nicht…«
»Doch, du verstehst genau. Jetzt siehst du, Megge, welcher Teufel in ihm steckt.«
33. K APITEL ,
worin ein großer Zorn ins Messer fährt
und nur noch töten will
Gregor hatte auf seinem Weg zu Andrew die alte Zeichensprache angewendet. Zur Sicherheit. Search würde jetzt nach ihnen suchen und sie früher oder später mit Hilfe dieser Zeichen finden; auch Charles bestimmt.
Am Ladenschild eines Schuhmachers in Cow Cross hing ein Lindenblatt, am Fuß des Great Conduit, des großen Stadtbrunnens auf dem Cheapside, gab es zwei schwarze Kreuze, mit Kohle aufgemalt, und in einem alten Fass, das am Portal des Kirchhofs von Grays Inn schräg im Boden steckte, lag ein Stück Birkenrinde, auf dem geheim vermerkt war, wo sich das Versteck befand.
Andrew und der Gefangene dösten in der Ecke. Alle froren. Die Mäntel und Decken widerstanden nicht der Kälte. Der Anwalt wimmerte. Gregor ließ ihn nicht aus den Augen. Er wartete auf Searchs Signalpfiff, der jetzt irgendwann ertönen würde.
Aber er war nicht richtig konzentriert. Er hatte sich entschieden, gegen seinen Paten vorzugehen. Aron Boggis war so gut wie tot. Gregor sah die alten Bilder vor sich, die Mutter, wie sie sich vor Aron ängstigte, als Gregors Vater krank gewesen war. Der Pate hatte nichts Besseres zu tun, als Gregors Mutter nachzustellen. Sie hatte sich versteckt, der Pate hatte sie gefunden. Sie schrie um Hilfe, er schlug sie. Der Vater konnte ihr nicht helfen. Der Sohn, der alles sah, war Aron ganz egal gewesen. Jetzt ist das Kind erwachsen. Die Mutter lebt nicht mehr. Sie kann sich nicht mehr rächen. Der Vater ist zu alt…
»Entschieden!«, sagte Gregor leise. Andrew und der Kerl glotzten herüber. Gregor zuckte mit den Achseln, als ob nichts sei. Dann hörte er Searchs Pfiff.
»Ich hole ihn.« Er schlich ins Freie, prüfte die Umgebung, entdeckte Search in einiger Entfernung und machte sich bemerkbar. Er flüsterte fast atemlos, erzählte, was passiert war, bevor sie das Versteck betraten.
»Andrew ist am Ende. Sein Vater ist tot. Nach außen tut er so, als wüsste er es nicht. Er will sich an Margaret Morlands Vater rächen. Der Kerl da drinnen ist ihr Verlobter.«
»Seid ihr verrückt geworden?«
»Ein Anwalt, der hundert Jahre älter ist als Margaret.«
»Na und? Wir sind geliefert!«
Gregor sah ihn aus großen Kinderaugen an. Sie gingen ins Versteck. Andrew begrüßte Search und hielt ihn lange fest, die Körperwärme tat ihm gut.
Search machte sich frei.
»Mein Pate Aron und Clifford sind die Männer, die hinter allem stecken, ich bin sicher«, sagte Gregor. »Andrew hat Clifford totgeschlagen, in Upper Moor Field. Clifford hat den Hund geköpft und auch Andrew wollte er töten, mit einem Schwert.«
»Clifford ist nicht tot«, erklärte Search. »Er liegt in Manson House und ist verletzt. Dich hat er beim Bürgermeister angeklagt, Andrew, und alle Stadtsoldaten suchen dich.«
Andrew war so überrascht, dass er sich setzen musste. Er war sofort erleichtert, aber er sah auch seine Lage. Niemand würde ihm glauben, wenn er erzählte, was passiert war.
»Lass den da laufen!«, sagte Search leise und nickte in Gills’ Richtung.
Andrew zuckte mit den Schultern.
»Sie fangen dich, Andrew! Du machst es schlimmer, als es ist.«
»Wir sind die Blackfrairs Seven, oder nicht?«, sagte Andrew scharf. »Wir sind zusammen, wir sind Freunde. Sag mir, wenn du nicht mitmachen willst!«
»Wobei?«
»Ich weiß nicht.« Andrews Augen füllten sich. »Ich hab alles falsch gemacht. Geht ruhig
Weitere Kostenlose Bücher