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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Margaret folgte Thomas die Wendeltreppe nach unten. »Du darfst dich in Haus und Hof vollkommen frei bewegen. Nur bitte nicht noch einmal in der Stadt. Es ist gefährlich. Die Söldner und Gassenvögte durchkämmen jedes Haus und sind bestimmt nicht zimperlich. Sie werden William Gills früher oder später finden, ich hoffe, rechtzeitig. Ich habe alles in Bewegung gesetzt, was in meiner Macht steht. Sie schwärmen bis nach Southwark aus.«
    »Wieso befreien Sie Andrews Vater nicht aus dem Gefängnis, Vater? Ist William Gills es nicht wert?«
    Thomas blieb einen Moment stehen, blickte aber nicht zurück.
    »Schon aus Prinzip nicht, Megge. Wer garantiert mir, dass der Bengel deinem zukünftigen Ehemann nicht trotzdem etwas antut? Dies blutige Stück Rattenhaut ist eine ernste Warnung…«
    »Andrew ist nicht so. Er ist verzweifelt. Ich fühle es. Was hat er zu verlieren?«
    »Seine Zukunft!« Thomas ging weiter. »Dass du so leichtfertig denken kannst! Er hat das Recht verwirkt, die beste Schule, die wir haben, zu besuchen. Er ist verloren, das weißt du genauso gut wie ich.«
    »Umso milder sollten Sie gestimmt sein, lieber Vater«, schmeichelte sie. »Ich weiß, wie großzügig Sie sein können.«
    »Es geht nicht, Megge, aus vielen Gründen.« Er war am Fuß der Treppe angelangt.
    Sie nutzte jeden Augenblick, um ihn heimlich zu beobachten. Er hatte sich verändert. Er war so fahrig und ruhelos, die Augen forschten überall, als ob er sich in seinem eigenen Haus nicht länger sicher und geborgen fühlte. Irgendetwas drückte, krümmte ihn. Er tat ihr Leid. Zum ersten Mal erkannte sie, dass er alt geworden war, sie sah sein graues Haar, die Falten um den Mund und um die Augen, die Flecken auf der Stirn und an den Händen.
    Es stimmte sie noch trauriger, als sie es ohnehin schon war. Sie wusste jetzt, dass sie kein Kind von Andrew unter ihrem Herzen trug. Sie war für einen Augenblick enttäuscht gewesen. Dann war sie einsichtig geworden. Denn Angst hatte sie sehr wohl gehabt, bei dem Gedanken, dass sie ein Kind gebären würde. Sie hatte wieder besser schlafen können, wenngleich sie in Gedanken treu bei Andrew war.
    »Vater, ich will Sie nicht verletzen…«, sagte sie ein bisschen angestrengt und steif. Sie stand dicht vor ihm, auf der letzten Treppenstufe, genauso groß wie er. Da wich er wieder ihrem geraden Blick aus.
    »Gute Tochter«, erwiderte er leise und drehte sich herum, zum Bogengang, der hinüber in das Wohnhaus führte. »Danke, dass du mich verstehst und dass du mir verzeihst und siehst, dass ich es schwer habe. Sehr schwer, mein Kind. Du verzeihst mir doch, Megge, oder nicht?«
    Sie war erstaunt. »Wenn ich es kann.« Sie wusste gar nicht, was er meinte.
    Er war bleich geworden.
    »Ist Ihnen nicht gut, Vater? Wir gehen ins große Zimmer. Setzen Sie sich, ich bringe Ihnen Wasser.« Sie wollte seine Hand fassen, er zog sie weg. Sie tat, als hätte sie es nicht gemerkt.
     
     
    A LS HÄTTE G OTT ES FÜGEN WOLLEN , trat Margaret in den Hof, ging bis zum Tor und sah den fremden Jungen draußen in der Nähe. Er winkte sie heran.
    »Ich bin Charles Summers«, sagte er, »und soll dich bitten, mir zu folgen. Andrew ist sehr verzweifelt. Er weiß nicht, wie er weiter handeln soll, um zu vermeiden, dass man ihm mehr Schuld zuweist, als er sich aufgeladen hat. Mehr sag ich besser nicht.«
    Sie blickte kurz zurück. Dann ging sie mit ihm in Richtung Stadtmauer zum Versteck. Sie weinte schon, als Charles sie durch die dichten Sträucher führte. Die Dunkelheit und der Gestank erschreckten sie. Andrew war so verändert, dass sie ihn kaum erkannte oder nicht erkennen wollte. Sie wich vor ihm zurück.
    Er stand mit hängenden Armen da. Auch seine Stimme erschien ihr hässlich und verzerrt.
    »Er will dir etwas sagen«, meinte Andrew und deutete auf Gills.
    Margaret sah ihn an. »Was soll das alles, Andrew? Kannst du nicht wie jeder andere Mensch zu meinem Vater gehen und ihn bitten, deinen Vater freizulassen? Stattdessen überfällst du deinen Lehrer, wie man sich erzählt, und tust dem Anwalt Gills dieses schlimme Unrecht an.«
    Andrew schüttelte den Kopf. Er war so müde, er wankte hin und her. »Ich sag doch, er wird dir jetzt erzählen, was passiert ist…« Er drehte sich zu Gills, bückte sich und hob einen Stein vom Boden auf.
    »Was ist los mit dir, Andrew?«, rief Margaret. »Ich habe meinem Vater versprochen, dass du nicht so bist, wie er jetzt glauben muss. Ich verstehe das alles nicht…«
    »Ihr Vater,

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