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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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ließe sich die Welt verdrehen, wie er wollte. Er wusste, dass es dummes Zeug war. Er spielte es. Es tat zu weh, daran zu denken, wie der Vater vermutlich umgekommen war…
    »Nein, Sir«, sagte er nach einer Weile. »Das will ich nicht.«
    »Was willst du nicht?«
    »Sie müssen lügen, Sir. Oder Sie träumen eben oder Sie werden sterben müssen… wie mein tapferer Vater.«

32. K APITEL ,
    in welchem alle Macht gespensterhaft verloren geht
     
     
     
    T HOMAS SPÜRTE Ü BELKEIT , ging in die Küche und setzte sich ans Fenster. Die Mägde flüchteten sofort. Er fuhr sie an zurückzukommen, ließ sich von ihnen Milch und Brot zum Tisch hinbringen. Es schmeckte nicht, es war, als äße er Papier. Sein Magen krampfte, es war die Schuld, er wusste es.
    Die Tür ging auf und Lady Alice kam herein, gebeugt und dennoch stolz, wie immer. Mit blauer Wange, Blut im Haar und an der Schläfe. Es sah schlimm aus. Er schaute weg, blickte stur nach draußen in den Hof. Alice musste gar nichts sagen, so war es jedes Mal. Es reichte, dass sie da war.
    Und wie sie da war! Dieser Stolz!
    Wie sehr er diesen unbeugsamen Willen hasste, mit dem sie lautlos ihre Rache nahm! Mit dem sie ihn jetzt angriff, gespensterhaft, mit bösen Blicken, Bewegungen, die niemand sah, nur er. Mit denen sie die Scham aus seiner Seele lockte, das war das Schrecklichste, das war am schwersten zu ertragen. Sie tat es wissentlich. Und es war umgekehrt: Sie ertrug die Schmerzen seiner Prügel, triumphierend, nur um der Rache willen – das war das abgrundtief Verwerfliche an ihr! Diese Frau war grausam, unmoralisch, voller Tücken.
    Alice ging zur Esse, blies das Feuer an und hängte einen Kessel Wasser an den Haken. Thomas war für sie unsichtbar. Er spähte zu ihr hin und überlegte, was er sagen sollte, ob er etwas sagen sollte. Damit die schwere Stille brach. Er sagte nichts, er war genauso stolz. Er stellte seinen Männerstolz gegen ihren Weiberstolz, das linderte die Wut ein wenig.
    Sie schnitt Gemüse, Zwiebeln, Rüben, Lauch. Sie stand seitlich zu ihm und tat, als sei er Luft. Er hustete, schnäuzte sich, er spuckte aus, er gähnte halb versteckt. Er war kurz davor, den Tisch zu nehmen und schreiend vor die Wand zu schmeißen. Und sie wusste es natürlich. Sie wusste, wie er kochte, der Kopf tat ihm schon weh, die Brust, die Ohren, alles.
    In einer Schale, drüben auf dem Fenstertisch und noch in Tuch gewickelt, lag ein abgebrühtes Rebhuhn. Sie nahm es, bewarf es schön mit teurem Pfeffer, etwas Thymian, zerstoßenem Lorbeerblatt und Salz. Es war sein Lieblingsessen. Damit zielte sie auf ihn.
    »Setz dich!«, befahl er.
    Sie reagierte nicht und schwieg beharrlich. Sie drehte das Geflügel, zupfte ein paar letzte Federn aus der grauen Haut, schnitt Speck und steckte ihn mit spitzen Holznadeln auf dem Geflügel fest. Sie kochte jetzt für ihn, den Ehemann, und wusste, dass ihm übel war und dass er von dem schönen Essen nicht einen Bissen würde zu sich nehmen können. Das war ihr stiller, unsichtbarer Krieg!
    »Ja, Herrgott, ja!«, rief er plötzlich. »Ich weiß, dass ich es nicht ungeschehen machen kann. Und Margaret, meine Tochter, steht an deiner Seite. Überhaupt alle sind deine Partei, nicht meine, die ganze Welt, das ist mir klar.« Er schlug auf den Tisch. Alice zuckte zusammen.
    »Trotzdem erwarte ich… verlange ich, dass jeder hier in diesem meinen Haus das nötige Maß Demut zeigt, also auch Vergebung leistet und Verständnis hat für die Belastung, die ich täglich tragen muss, das Gewicht des Amtes, das mir das Herz einschnürt. Was wisst ihr schon in eurer Küche von der Qual, dem König Tag für Tag gefällig sein zu müssen. Wenn ihr wüsstet, welche Ängste einen jagen!«
    Alice lachte. Er sah es nur im Augenwinkel und es war lautlos, kurz gewesen, aber er hatte es genau gesehen: Sie lachte – über ihn! Am liebsten wäre er jetzt aufgesprungen und hätte sie erneut geprügelt. Er zwang sich, ruhig zu bleiben.
    »Ja, lach nur!«, sagte er leise. »Ich weiß schon, ich bin ungerecht, ein schlechter Ehemann. Geh! Lauf auf die Gasse, in die Stadt, damit es alle wissen: Thomas Morland ist ein alter Esel, dass er seine Frau ernährt, dass er seine Kinder liebt und fördert, dass er sein Haus vor Not und Hunger schützt…«
    Sie lachte wieder leise. Es tat ihm weh. Aber sie hatte Recht: Er hatte sie geschlagen, jetzt schlug sie ihn – schlimmer, als er sie je mit Händen hätte schlagen können. Er ließ Zeit verstreichen, zwang sich,

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