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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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nicht aus der Küche fortzulaufen, diesen stummen, scharfen, blöden Weiberhass zu dulden, der auf ihn niederfuhr.
    Alice mischte Quittensaft mit Zimt, Nelken, Ingwer und Muskat, tat Zucker dazu, kandierte Zitronenscheiben und gab es an das Rebhuhn. Es duftete.
    »Es tut mir Leid«, sagte er halblaut. Nun stand er doch auf und ging zur Tür. »Ich bin der Esel. Ich bin das Ungetüm, mein Herz ist nur ein Stein…« Er öffnete die Tür und wurde weiß vor Schreck.
    Margaret stand vor ihm.
    »Es duftet, lieber Vater. Die Stiefmutter kocht für Sie. Sie liebt Sie. Darf ich hereinkommen?«
    Thomas gab den Weg frei.
    Sie trat ein. »Das hier wurde für Sie abgegeben, von einem Fremden, am Tor zur Straße.« Sie hielt ein Päckchen in der Hand.
    Thomas brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln.
    »Wer hat dir die Tür im Turm geöffnet?«, fragte er nach einer Pause.
    »Die Stiefmutter. Sie sagte, Sie hätten es erlaubt.«
    »So?« Er starrte auf das kleine Bündel. Es war aus grobem Leinen, mit einer Schnur umbunden. Er wandte sich zur Seite, ging an den Tisch zurück. Alice stand an ihrer Arbeit, sah nicht her.
    »Was ist passiert, Stiefmutter?«, fragte Margaret überrascht. »Haben Sie sich im Gesicht verletzt?«
    »Ja.«
    »Soll ich etwas Salbe holen?«
    »Gerne, wenn du magst.«
    Margaret blickte zwischen beiden hin und her. Thomas merkte, wie sie forschte. Er tat, als sei nichts, und setzte sich.
    Sie reichte ihm das Päckchen und ging zu einem Wandschrank, aus dem sie Tücher und ein Gläschen nahm. Thomas tastete an dem verschnürten Leinenbündel.
    »Setz dich bitte zu mir, Megge!«, bat er.
    Sie dankte artig, entschuldigte sich und sagte, dass sie gleich kommen würde. Sie ging zu Lady Alice. Jetzt erst sah sie das verklebte Haar, die Flecken auf den Wangen.
    Sie befeuchtete ein Tuch und tupfte vorsichtig, reinigte die Stellen, strich ein paar Mal mit dem Handrücken zärtlich über Alice’ wunde Haut. Die Stiefmutter hielt still, schwieg beharrlich, sie zuckte nicht mal mit dem Mund. Margaret trocknete die Stirn, die Schläfen, öffnete das Gläschen und tupfte Salbe auf die bläulich roten Inseln im Gesicht. Thomas sah es, verstohlen und mit halbem Blick.
    Er hielt das Päckchen in der Hand. Ein schwebendes Gefühl befiel ihn. Ihm schien, als sei das Bündel warm, als lebte es. Wie albern! Er legte es schnell hin und schüttelte sich fröstelnd.
    Doch er bezwang sich und nahm das Päckchen erneut vom Tisch, wog es in der Hand. Es war nicht größer als ein Gänseei und leicht für seine Größe, nichts Metallenes, nichts Irdenes und sicher auch kein Glas. Es war vielleicht Papier, Holz, Stoff. Wieder legte er es hin.
    »Wer hat es abgegeben?«, fragte er.
    »Es war ein Fremder, lieber Vater. Ich sagte es vorhin. Ein Knecht hat es entgegengenommen. Er kannte den Mann nicht.«
    »Und er hat kein Wort gesagt, der fremde Bote?«
    »Nichts, was der Knecht uns hätte weitersagen können.«
    Margaret legte die Tücher zusammen und verschloss das Salbenglas. Alice war an das Feuer zurückgekehrt. Thomas hatte das Bündel wieder aufgehoben, hielt es nah an sein Gesicht. »Es riecht. Und zwar nicht gut.«
    »Wonach denn?«, fragte Margaret.
    »Ich weiß nicht… nach Verdorbenem.« Margaret kam, streckte den Kopf vor, sog Luft ein und fuhr erschreckt zurück.
    »Was ist das? Wollen Sie es öffnen, Vater?« Sie hielt die Hände schützend vor die Lippen.
    »Bring mir ein Messer!«
    Margaret gab es ihm. Er schnitt die Schnur entzwei. Er hielt das Päckchen an einem Zipfel fest und wickelte es aus. Es rollte über den Tisch und wurde kleiner. Fiel schließlich gänzlich auseinander, dann lag der Inhalt offen da, die bleiche Haut, die Rattenhaut, die wie Menschenhaut aussah, noch blutverschmiert.
    Margaret tat einen spitzen Schrei. Lady Alice blickte her. Thomas starrte für einen Moment darauf, unfähig zu begreifen, was es war.
    »Oh nein…!«
    »Was ist, Vater?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nichts, Megge, nichts. Nur tote Haut, von einem Hund vielleicht.« Er rief eine Magd herbei und gab ihr zu verstehen, den Schmutz sofort vom Tisch zu räumen.
    Sie kam, den Ekel im Gesicht, blieb stehen, wie festgewachsen.
    »Wird’s bald?«, schimpfte Thomas.
    »Ich kann nicht, Sir.«
    »Du wirst wohl müssen. Was ist los in diesem Haus?« Er wurde wieder rot vor Zorn. »Gibt es hier nur noch Weigerungen, zarte Pflänzchen, Seidenraupen, Schmetterlinge, die man nicht berühren darf?«
    Es klopfte.
    Lady Alice öffnete. Es war

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