Die Seelenquelle
vorbeizugleiten und offenbarte hinter jeder Biegung neue Wunder: winzige Inseln voller schneeweißer Vögel; sich wärmende Krokodile, welche die Farbe von Jade besaßen; Büffel, die von braunhäutigen Jungen gewaschen wurden; faule graue Nilpferde, die mit ihren Ohren wackelten und gähnten; hoch aufragende Palmen mit goldenen Zweigen, die mit glänzenden schwarzen Datteln beladen waren … und so weiter und so fort.
Aufgrund der trägen Strömung im Sommer benötigten die breiten, flachen Boote drei Tage, um die neue Stadt des Pharao zu erreichen. Die Diener und Gefolgsleute gingen zuerst von Bord, um die Landungsstelle vorzubereiten; ihnen folgten die Priester entsprechend ihrer Rangordnung. Der Hohe Priester, ein runzliger alter Mann namens Ptahmose, der in Benedicts Augen so schrumpelig und ausgetrocknet wirkte wie eine wandelnde Mumie, ging als Letzter an Land. Anen, sein Stellvertreter, stand ihm bei.
Die Mitglieder der Delegation trugen einfache Schurze aus gestärktem, weißem Leinen und breite, in viele Reihen untergliederte Halskragen aus Gold, die ein Symbol ihres Amtes waren. Während sie nun die Allee hinaufgingen, wurde ihr Aufzug von den Dienern gesäumt. Einige der Bediensteten trugen Flaggen, andere Trompeten und wiederum andere balancierten mit Tüchern bedeckte Körbe auf ihren Köpfen. Als sich die Delegation den niedrigen, getünchten Mauern der Stadt näherte, begannen die Trompeter laut zu blasen. Mit ihren Instrumenten erzeugten sie wahre Trompetenstöße und verkündeten so die Ankunft ihrer Herren.
Arthur und Benedict schritten als Gäste von Anen direkt hinter den Priestern. Arbeiter auf den Feldern außerhalb der Stadtmauern legten eine Pause ein, um die vorbeiziehende Prozession zu beobachten. Vor den Toren hielten sie und warteten, während die Wachen sich beeilten, die gewaltigen Zedernstämme aufzudrücken, aus denen die Eingangspforten hergestellt waren. Für jedes der beiden riesigen Tore, deren Holz rot angestrichen war und durch Eisenbänder zusammengehalten wurde, waren fünf Männer nötig, um sie durch ein Ziehen an den Ringen zu öffnen.
Sobald der Weg frei war, wurde die würdevolle Prozession fortgesetzt. Die mit Steinen gepflasterten Straßen der neuen Stadt waren breit und gerade, die Gebäude niedrig. Die Bewohner auf den Straßen hielten inne, um dem Spektakel zuzusehen. Weitere Leute kamen aus ihren Häusern, um zu sehen, was gerade passierte. Die Straßen waren bald von neugierigen Schaulustigen gesäumt.
Als die Priester tiefer in die neue Stadt vordrangen, wurde offensichtlich, dass ihre Errichtung immer noch in einem Frühstadium war: Die meisten Bauwerke waren zwar umrisshaft mit Lehmziegeln und Verputz errichtet worden, mussten aber noch in Stein vollendet werden. Nur die Tempel, von denen es mehrere in unterschiedlichen Größen gab, waren komplett fertig. Doch selbst die Residenz der königlichen Familie wartete darauf, ihre glänzend weiße Fassade zu erhalten.
Nichtsdestotrotz schien die Arbeit rasch voranzugehen. Auf den verschiedenen Baustellen wimmelte es von Bauarbeitern – es waren Hunderte, die man in Gruppen organisiert hatte, die jeweils von einem Aufseher befehligt wurden. Die gedrungenen, dunkelhäutigen Arbeiter hatten alle einen nackten Oberkörper und schwitzten stark, während sie meißelten, verputzten oder Ziegelstein hin und her trugen. Eine Kopfbedeckung aus Tuch stellte das einzige Zugeständnis dar, um sie vor der gnadenlos herabbrennenden Sonne zu schützen. Das Aussehen der Arbeiter unterschied sich so sehr von dem der größeren, zierlicheren Ägypter, dass Benedict vermutete, diese Leute müssten die von Anen erwähnten Habiru sein.
Dass sie geschickte Steinmetze und Kunsthandwerker waren, konnte man deutlich an den Reliefs, Statuen und Bildern erkennen, die in regelmäßigen Abständen entlang der Straßen in der Königsstadt auftauchten. Wohin auch immer Benedict blickte, sah er ein Abbild des Pharao: Echnaton mit seiner Frau, der wunderschönen Nofretete; Echnaton mit seinen Kindern; Echnaton, der die lebensspendenden Strahlen der Sonne empfängt; Echnaton, der die Gerechtigkeit seines Gottes dem Volk von Ägypten vermittelt. Einige der Statuen wirkten grotesk und missgestaltet: Sie zeigten Echnaton mit großen, aufgeschwollenen Lippen, einem runden Kugelbauch und spindeldürren, gekrümmten Beinen – absurde Karikaturen der streng festgeschriebenen offiziellen Bildnisse.
»Schau mal dorthin«, sagte er und stieß seinen
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