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die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

Titel: die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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trennen, widersprach, behielt sie einen Teil des Abendessens für ihn zurück, wenn er abgemagert wirkte. Manchmal, in der Nacht, hörte sie seinen einsamen Schrei, der ohne Antwort blieb.
    Auch wenn Rhia wusste, dass ein gewisser Teil der Kalindonier sie immer verachten würde, hatten die meisten Dorfbewohner ihre Herzen und ihre Häuser für sie geöffnet und dafür gesorgt, dass sie sich wie eine von ihnen fühlte. Und doch gab es einen Ton in dieser Harmonie, der falsch klang – Etars Tod und seine mysteriösen Umstände. Sie vermied das Haus von Skaris, der sie von seinem Fenster aus mit einem Blick beobachtete, der nach aufkeimender Verbitterung aussah. Ihr weiter bestehender Verdacht Coranna gegenüber – die eine Gelegenheit und vielleicht auch ein Motiv gehabt hatte, Etar umzubringen – machte Rhias Ausbildung schwierig, und ihre Bedenken gegenüber Razvin wurden von der offensichtlichen Bewunde-rung, die er und seine Tochter sich gegenseitig entgegenbrachten, kaum gedämpft.
    Eines Nachts, mehrere Tage vor der Sommersonnenwende, luden Alanka und Razvin Marek, Coranna und Rhia zum Abendessen ein. Auch wenn Rhia es schwierig fand, im gleichen Raum mit Razvin zu sein, hatte ihr Appetit darauf bestanden, dass sie teilnahm. Wie Marek sie schon gewarnt hatte, gab es in Kalindos an den Tagen, an denen man keine Gelage feierte, höchstens zwei karge Mahlzeiten. Wenn ein Kalindonier aber Gäste einlud, wurde ordentlich aufgetischt, um allen Teilnehmenden Ehre zu erweisen.
    „Was vermisst du am meisten an Asermos?”, fragte Razvin sie, als sie sich an diesem Abend zum Essen niedersetzten.
    Nachdenklich betrachtete sie die Umgebung. Alle Fenster waren geöffnet, und die Sonne, die der Sommer noch nicht zur Ruhe gebettet hatte, schien durch das westliche. Eine kühle Brise wehte durch das luftige Haus, und die Bäume summten eine beruhigende Melodie.
    „Brot”, sagte sie schließlich.
    Die anderen lachten.
    Razvin grinste sie neckend an. „Nicht deine Familie oder deine Freunde oder ...”, er sah Marek an, „... jemand anderen?”
    Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm es ihr war, dass die Erinnerung an Areas immer weiter verblasste. „Ich vermisse Brot. Es rundet eine Mahlzeit ab, macht sie vollständig. Wenn ich Kalindos nur ein einziges asermonisches Geschenk machen könnte, wäre es Brot.”
    Razvins Lächeln erstarb. „Wir können hier keine Farmen bestellen, um Weizen zu züchten, und wir wollen sie auch nicht. Wie viele Bäume mussten fallen, damit ihr euch das Land zu eigen machen konntet? Wie viele Tiere mussten versklavt werden, damit du Brot essen kannst?”
    „Ich mag Brot”, warf Marek ein, ohne seine Stimme zu erheben. „Auf dem Fiedlerfest in Velekos haben sie Fleischstücke zwischen zwei Brotscheiben gereicht, das Ganze in Fleischsaft getaucht. Klebrig, aber köstlich.”
    „Fleisch von Tieren, die zum Schlachten gezüchtet wurden, ohne eine Chance auf Uberleben, ohne die Gnade der Jagd.” Razvin hielt seinen Blick auf Rhia gerichtet. „Land bestellen lässt einen weich werden.”
    Ihr Gesicht erhitzte sich. „Nennst du es ,weich’, wenn alle den Winter überleben?”
    „Ihr überlebt den Winter auch nur, wenn die Ernte gut war. Wenn es eine Dürre gibt oder zu viele Insekten, gibt es trotzdem Hungertote – mehr noch, weil es mehr gibt, die gefüttert werden müssen.”
    „In guten Jahren lagern wir Nahrung ein, damit das nicht passiert.” Sie machte ihn nicht darauf aufmerksam, dass die Kalindonier ihre Extrarationen bei Gelagen in sich hineinschlangen, statt sie aufzusparen.
    „Wenn all diese Felder und Lager euch genommen würden, würdet ihr kein Jahr überleben.”
    Seine Worte ließen sie erschauern. „Warum sollte man sie uns nehmen?”
    Er zuckte mit den Schultern. „Ein Sturm vielleicht. Oder eine Flut.”
    „Eine Invasion?”, hakte sie nach.
    Am Tisch wurde es still. Angsterfüllt starrte Razvin sie an. Dann blinzelte er, und sein Blick war wieder unergründlich. „Wer würde es wagen, das allmächtige Asermos anzugreifen?”
    „Jeder, der glaubt, uns besiegen zu können. Die Nachfahren zum Beispiel.”
    Er starrte sie düster an. „Und wenn, habt ihr es euch selbst zuzuschreiben. Wenn man sich eine begehrenswerte Welt erschafft, sollte es einen nicht überraschen, wenn andere versuchen, sie einem wegzunehmen. Sieh dir Kalindos an. Wir sind in Sicherheit, solange wir nichts haben, was sich zu stehlen lohnt. In Sicherheit und glücklich.”

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