die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
„Es muss einer deiner Söhne sein, der Vater wird.”
„Oh.” Er setzte sich vorsichtig auf und rieb sich das Kreuz. „Hatte ich einen Schwanz?”
Rhia konnte Razvins unheilverkündende Worte nicht vergessen. Schon die ganze Zeit hatte sie gespürt, dass Etars Tod irgendwie mit der Zukunft von Asermos zusammenhing, auch wenn sie es nicht laut aussprechen konnte, sodass irgendwer, selbst Marek, sie verstand. Razvin hatte die Antworten, dessen war sie sich jetzt sicher.
Am Morgen, nachdem der Fuchs sich verwandelt hatte, wartete Rhia vor seinem Haus, verborgen in einem Gebüsch, während Alanka mit den Wölfen auf Jagd gegangen war. Razvin erschien und nahm die blaue Flagge von seiner Terrasse, um zu verkünden, dass das Haus leer war. Er stieg die Leiter hinab und ging mit leeren Händen zum Fluss. Während er sich bewegte, drehte er den Kopf immer wieder in alle Richtungen, als würde er nach jemandem Ausschau halten – oder dafür sorgen, dass man ihn nicht beobachtete.
Rhia folgte ihm, und es gelang ihr, ihn immer gerade noch im Augenwinkel zu behalten, bis sie weit vom Dorf entfernt waren. Sie ging langsam, um unentdeckt zu bleiben, aber als sie dem rauschenden Fluss näher kamen, wagte sie es, schneller voranzuschreiten. Sie verließ sich darauf, dass das Wasser den Klang ihrer Schritte verbarg.
Ein Dickicht aus Platanen tauchte vor ihr auf. Sie schlüpfte von einem gefleckten weißen Stamm zum nächsten und lauschte vergeblich nach Razvins Schritten. Er muss die Richtung gewechselt haben, dachte sie, enttäuscht von ihrem ersten Versuch im Nachstellen.
Dann hörte sie Stimmen.
Sie erkannte nur eine, die von Alankas Vater. Der andere Mann sprach mit einem südlichen Akzent, wie der von Velekos, nur klang er noch fremder. Rhia schnappte ein oder zwei Worte auf, aber das rauschende Wasser überdeckte den Rest.
Aus dem Augenwinkel heraus sah sie ein blasses Grau, das aus dem Wald herauskam. War das noch ein Fremder, der gekommen war, um sich mit Razvin zu treffen? Keine weitere Bewegung folgte, und sie entschied sich, vorwärts zu gehen und sich in Acht zu nehmen, falls man sie umzingelte.
Sie suchte sich einen Pfad, der in einem anderen Winkel zum Fluss verlief. Ein Überhang verbarg einen kleinen Bereich direkt am Ufer. Vielleicht sollte sie es wagen, an den Rand zu kriechen und sich dort in den langen Gräsern zu verbergen. Das war vielleicht der einzige Weg, die beiden Männer zu belauschen.
Rhia ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch vorwärts. Dabei achtete sie darauf, das Gras in Flussnähe nicht zu bewegen.
„Was ist mit den Wölfen?”, hörte sie den fremden Mann sagen.
„Es gibt keine Wölfe in Asermos”, antwortete Razvin. „Seid Ihr sicher?”
„Außerdem ist meine Tochter ein Wolf. Ich gebe Euch nichts, was Ihr gegen sie verwenden könntet.”
Rhia robbte sich vorwärts und konnte die beiden Männer endlich sehen. Der, der mit Razvin sprach, hielt etwas, das wie eine flache Schachtel aussah, in den Händen, und machte darauf seltsame Zeichen. Seine helle Haut und sein Haar waren glatt, Letzteres zu einem kurzen Zopf in seinem Nacken zusammengenommen. Er konnte nicht mehr als einige Jahre älter als Rhia sein. Hinter ihm, in den Schatten, wogte ein Kanu mit seltsamen Mustern auf dem Fluss.
„Und warum sollte ich Euch vertrauen?”, fragte der Mann. „Woher soll ich wissen, dass es keine Falle ist?”
Razvin kniff die Augen zusammen. „Ich versichere Euch, ich verspüre keine Liebe zu den Asermoniern. Als Skaris von Euren Plänen berichtet hat, hatte ich kein Mitleid mit ihnen. Aber ich muss Kalindos beschützen, wie Ihr es mir versprochen habt. Ein Mann musste bereits für unseren Handel sterben, ein Ratsmitglied, das ich im Verdacht hatte, der Wahrheit zu nahe gekommen zu sein.”
Ich wusste es, dachte Rhia. Etar.
„Tote erregen Aufmerksamkeit”, rügte ihn der Fremde. „Hegt jemand einen Verdacht?”
„Das ist das Schönste daran. Unser Freund Skaris hat versucht, einen ungewollten Gast unter uns zu vergiften. Ich habe einfach nur die Becher ausgetauscht, damit der Ratsmann sterben musste und nicht sie.”
In Rhias Kehle stieg ein scharfer, beißender Geschmack auf, so als würde ihr Magensäure den Hals hinaufsteigen. Skaris hatte versucht, sie umzubringen, und Razvin hatte ihr das Leben gerettet, wenn auch nicht ganz uneigennützig. Also war Etar wirklich ihretwegen gestorben.
Razvin fuhr fort: „Die meisten Leute glauben, der Junge hat es getan. Sie
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