die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
dich einzuhüllen.” Er schüttelte die Uberdecke und stieß einen kleinen Jubelschrei aus. „Siehst du? Für mich machen sie das nie.”
Sie lachte. „Dann liegen wir einfach so nebeneinander, keusch wie kleine Kinder?”
„Wir könnten einfach schlafen oder ...” Er ließ die Hände unter die Decke wandern, bis sie ihr Ziel gefunden hatten. „Wir könnten andere Wege finden, uns zu vergnügen.” Rhia bog ihren Rücken durch und stellte sich diese Wege vor. Er kam näher und drückte seine Stirn gegen ihre. „Hör zu”, sagte er, „du bist der schönste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Glaub nie etwas anderes. Versprichst du mir das?”
„Das musst du nicht sagen.”
„Versprich es mir. Versprich mir, dass du dich nie weniger wert fühlen wirst als jemand anders, egal, was passiert.”
Sie nahm an, „egal, was passiert” bedeutete: „selbst wenn du eines Tages nach Asermos zurückkehrst und wir einander nie wiedersehen”, aber zwischen jetzt und „eines Tages” würde sie mit ihm zusammen sein und sich gern von ihm besitzen lassen.
„Ich verspreche es.”
31. KAPITEL
F ast zwei Monate vergingen, und der Richter und der Verhörleiter aus Velekos waren immer noch nicht angekommen. Der Falke des südlichen Dorfes, der sich in seiner dritten Phase befand, war gestorben, also musste der kalindonische Bote seine Nachricht selbst überbringen. Er kehrte mit dem Versprechen zurück, dass Adler und Eule kommen würden, sobald es ihr Zeitplan zuließ.
Coranna fuhr damit fort, Rhia in den Ritualen auszubilden, die sie in der ersten Phase ihrer Gabe durchführen konnte: das Gebet des Ubergangs, um es dem Geist eines Sterbenden leicht zu machen, sich von dieser Welt zu lösen, den Leichengesang, um die Trennung nach dem Tod zu vervollständigen, und das Rufen der Krähen, um den Geist des Verstorbenen am Ende der Beerdigung davonzutragen. Eines Tages, wenn Rhia ihre zweite Phase erreichte – nachdem sie ein Kind empfangen hatte -, würde auch sie in der Lage sein, mit den toten Seelen Kontakt aufzunehmen, besonders mit jenen, die nahe an dieser Welt verblieben.
Coranna brachte ihr auch bei, wie sie die schrecklichen Visionen vom Tod eines Menschen blockieren konnte. Diese Visionen brachten nämlich nicht nur Wissen mit sich, das schwer zu ertragen war, sie konnten auch zu Bewusstseinsstörungen führen, wie Rhia es schon bei Dorius erlebt hatte. In einer Schlacht, in der man den Heilern helfen musste, zu entscheiden, welcher der Verwundeten noch gerettet werden konnte, machten einen solche Visionen wahnsinnig und nutzlos.
Rhia verbrachte die Nächte mit Marek, auch wenn sie ihn nach Sonnenuntergang nur dann sehen konnte, wenn es ihm durch unglaubliche Anstrengung gelang, einen kleinen Schimmer zu erschaffen. Jede Nacht strich sie so beiläufig wie möglich durch sein Haar, um zu spüren, wie es lang und weich wurde. Die Phasen, in denen er ausschließlich mit Grübeln beschäftigt schien, wurden immer seltener, bis er nur noch dann und wann reuevoll dreinblickte, ehe das Abendlicht verschwand und er mit ihm. Er verließ das Bett noch vor Sonnenaufgang, um zu jagen, und schlief dann den größten Teil des Tages. Auch wenn sie froh war, dass seine nächtliche Aktivität ihr genug Zeit ließ, zu lernen, bezweifelte sie doch, dass er auf eine Farm passen würde, wo man von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang arbeitete. Und doch, der Gedanke daran, ohne ihn nach Hause zurückzukehren, verursachte einen dumpfen Schmerz in der Magengegend, so als hätte sie einen Stein verschluckt.
Sie fürchtete sich nicht länger vor dem Wald und seiner Dunkelheit, stattdessen lernte sie, auf seine spezielle Melodie zu lauschen. Jeder Baum war ein einzigartiges Instrument, und die Winde waren die Spieler. Die stetige Brise aus Südwesten flüsterte fast den ganzen Tag und schuf im Hintergrund ein Summen, das Rhia an sanfte Regenschauer, die auf Weizenfeldern fielen, erinnerte. Der Nordwind strömte zumeist nachts von den Bergen her, ein wirbelndes Chaos, das in den Zweigen, Blättern und Nadeln lärmte. Wind aus Südosten brachte Regen – fast jeden Tag, einen ganzen Monat lang -, und die Wassertropfen prasselten von den Bäumen auf die Hausdächer und den felsigen Boden unter ihnen.
Manchmal sah sie den alten, einsamen Wolf aus der Ferne. Seine blassen gelben Augen beobachteten sie, und sie lernte, sich von seinem Blick beruhigen zu lassen. Auch wenn es ihrem Hungergefühl und ihrem Prinzip, das Wilde vom Zahmen zu
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