die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
warm, und streichelte ihre Haut mit Millionen kleinster Blasen, die lebendig zu sein schienen und sie sauber schrubbten, ohne dass sie Seife oder eine Bürste brauchte. Sie beugte ihren Kopf zurück, um ihr Haar zu waschen, und das Wasser kroch ihr über Gesicht und Kopfhaut wie tausend sanfte Finger, so wie ihre Mutter ihr früher die Haare gewaschen hatte.
Die hohen Schilfpflanzen sorgten dafür, dass sie sich wie in einer eigenen Welt vorkam. Sie wiegten sich klirrend hin und her und sangen lieblich und etwas aus dem Takt, wie ein Chor aus kleinen Mädchen. Ein schwerer, unbekannter Duft senkte sich aus den geneigten Köpfen des Schilfgrases und glättete noch die letzte Sorgenfalte auf Rhias Stirn.
Mit offenen Augen tauchte sie den Kopf unter Wasser, um nach der Quelle des blauen Lichtes zu suchen. Das Wasser murmelte in seiner eigenen Sprache, als sie sich nach beiden Seiten umsah. Das Licht schien nicht nur aus jeder Richtung zu kommen, auch schien weder der Teich selbst noch das Licht einen erkennbaren Anfang oder ein Ende zu haben. Vielleicht konnte sie meilenweit unter Wasser schwimmen und nie das Ufer erreichen.
Sie tauchte auf und nahm die Flüssigkeit in ihre hohlen Hände, wo sie weiter leuchtete. Was war dieser Ort? Wo war er? Am Rande der Geisterwelt, das stand fest, geschaffen, um p>mehr als nur den Körper zu reinigen. Sie bekämpfte den Drang, verstehen zu wollen, und erlaubte, dass der Ort sie von außen nach innen nährte.
Nach einigen Minuten, als das Wasser begann, sich abzukühlen, und sich nur noch wie einfaches Wasser anfühlte, wusste sie, dass es an der Zeit war, den Teich zu verlassen. Nur widerwillig wrang sie die Haare aus und trat zurück ans Ufer.
Krähe wartete schweigend auf sie. Für einen Augenblick stieß sie diese vorgeblich männliche Anwesenheit an einem Ort, der so weiblich war, ab. Aber sein Blick war so leidenschaftslos, wie man ihn von einem Vogel, der einen Menschenkörper betrachtete, erwarten würde.
„Lass uns beginnen”, sagte Krähe.
„Darf ich mich zuerst anziehen?”
„Wenn es sein muss. Aber wenn du die tiefsten Geheimnisse über dich selbst und deine Zukunft wissen willst, ist es besser, sich hinter nichts zu verstecken.”
Sie dachte darüber nach und wandte sich dann von ihrem Kleiderhaufen ab. Nur mühsam widerstand sie dem Drang, sich im Wald, der sie umgab, nach lüsternen Blicken umzusehen.
„Ich bin bereit”, sagte sie und stellte sich neben Krähe.
Er schloss die Augen.
Am gegenüberliegenden Ufer des Teiches leuchtete von oben her ein noch helleres Licht. Zwischen dem saftigen grünen Gras wuchsen zwei Bäume, die etwa doppelt so groß wie Rhia waren.
Die Äste am linken Baum hingen voller Blätter, in denen sich das Licht strahlend grün spiegelte. Blüten und Früchte jeder Größe und Farbe hingen an den Spitzen selbst der kleinsten Zweige. Vögel haschten einander von Zweig zu Zweig und zwitscherten. Schmetterlinge landeten auf den Blüten, um den Nektar darin zu trinken.
Der Baum zur Rechten ähnelte seinem Zwilling nur in der Größe. Seine verdrehten schwarzen Zweige trugen keine Blätp>ter, Früchte oder Blüten. Sie rauschten in einem Wind, den sie nicht spüren konnte, und schlugen aneinander wie Knochen. Der Stamm war mit langen, unregelmäßigen Narben übersäht, aus denen krustiger weißer Harz sickerte. Keine Kreatur spielte oder nährte sich in diesem Baum. Tatsächlich schien es so, als würde er jedes Leben, das sich zu nähern wagte, auslöschen.
Rhia trat einen Schritt auf den zweiten Baum zu. Ein scharfes Seufzen von Krähe ließ sie innehalten.
„Es ist, wie ich gefürchtet habe”, sagte er.
Erstaunt drehte sie sich zu ihm um. „Was bedeutet das?” Sein Schnabel deutete zur Linken. „Der gesunde Baum ist deine Weisheit, deine Kraft und dein Widerstand, aber wichtiger noch, deine Liebe zum Leben. Diese Gaben schenke ich dir.”
Sie sah den kargen Baum noch einmal an und wollte ihn berühren, vielleicht sogar auf ihn klettern. „Was ist mit dem anderen?”
„Dieser Baum ist, was du werden wirst, wenn du dem Tod erlaubst, deinen Geist zu übernehmen. Wenn du dich der Illusion ergibst, dass der Tod das Leben bitter macht und nicht süß.”
Rhia runzelte die Stirn. Es dürfte schwer sein, einer solchen Vorstellung zu entgehen, wenn man vom Tod umgeben war, überlegte sie, besonders wenn ein Krieg kam, der einem die Liebsten nahm.
Krähe fuhr fort: „Ich verspreche dir, dass in dir immer Freude sein
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