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die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

Titel: die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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KAPITEL
    R hia starrte die vogelförmige Stelle an, wo die Nacht noch schwärzer geworden war.
    „Guten Abend”, sagte er und verbeugte sich elegant. Seine Stimme klang freundlicher und menschlicher als die der anderen Geister.
    Rhia verbeugte sich ebenfalls. „Guten Abend.”
    „Du hast keine Angst.”
    Das stimmte. Ihre Unsicherheit, das Zögern, die Angst waren von ihr abgefallen. Was immer sie in der Gegenwart dieses Geistes sagte oder tat, er würde sie akzeptieren.
    „Ich lebe schon seit vielen Jahren mit dir zusammen”, sagte sie. „Dich endlich zu sehen ist fast ein Trost.”
    Krähe schien zu lächeln, wenn ein Schnabel so einen Ausdruck überhaupt annehmen konnte. „Folge mir. Nimm deine Besitztümer mit. Wir kehren nicht zurück.”
    Sie traten von der Lichtung in den tieferen Wald, und auch wenn Rhia merkte, dass sie ging, raschelten ihre Schritte nicht länger in den gefallenen Blättern.
    „Ein Trost, hast du gesagt.” Krähe lachte leise. „Es wird dich überraschen – oder vielleicht auch nicht -, wie selten ich diese Worte höre. Die Menschen freuen sich nur selten, mein Gesicht zu erblicken.”
    „Und dafür brauchst du mich, nicht wahr? Damit sie keine Angst vor dir haben?”
    „Ja, damit das Ubertreten eines Menschen auf die andere Seite eine Zeit des Friedens ist. Ich freue mich nicht darüber, jemanden aus dem Leben zu reißen, der zappelt wie ein Fisch in der Pranke eines Bären.”
    Wie meine Mutter.
    „Ja, wie deine Mutter”, sagte Krähe. „Du gestehst deinen Anteil an der Art, wie sie gestorben ist, ein, und hast daraus gelernt. Aber belaste dich nicht länger mit dieser Schuld, sonst schränkt sie deine Kräfte ein.”
    „Aber warum hast ...” Rhia unterbrach sich selbst, weil sie erwartete, von Krähe unterbrochen zu werden, was nicht geschah.
    Nach einigen Augenblicken fragte Krähe geduldig: „Ja?” „Warum hast du mir gesagt, sie würde noch einen Tag erleben?”
    Er seufzte. „Ich würde dich nie belügen, Rhia. Weil wir uns einander noch nicht überlassen hatten, war unsere Verständigung undeutlich. Es war, als würde man versuchen, unter Wasser zu sprechen. Du hast nur einen Teil der Wahrheit erfahren.”
    „Und den Rest mit dem aufgefüllt, was ich glauben wollte.” Ja.”
    „Aber als ich die Vorhersage getroffen hatte, hättest du nicht warten können?”
    „Die Geschwindigkeit meines Fluges drosseln, nur damit du recht behältst?”
    Das klang jetzt, wo sie darüber nachdachte, wirklich unverfroren. „Ich nehme an, der Tod beschäftigt dich sehr.”
    „Selbst wenn deine Mutter der einzige Mensch auf der Welt gewesen wäre, der in jener Nacht sterben musste, hätte ich die Zeit, zu der ich sie zu mir genommen habe, nicht geändert.” Er schnalzte mit der Zunge. „Die Geister tun, was sie wollen.”
    „Was nützen dann Gebete?”
    „Wenn du ,Gebet’ als etwas definierst, das die Meinung eines Geistes verändern soll, dann haben sie fast keinen Nutzen. Es tut mir leid. Aber Gebete konzentrieren deine Vorhaben und definieren, was wichtig ist und was deine eigene Handlungsweise verändern kann. Außerdem macht es uns Freude, von den Menschen zu hören.”
    „Warum?”
    „Weil wir euch lieben.”
    Rhia blieb wie vom Donner gerührt stehen. Krähe drehte sich zu ihr um.
    „Ist das so eine Überraschung?”, wollte er wissen.
    „Nein. Das habe ich immer gespürt.” Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Das Zittern begann erneut, nur kam es dieses Mal von innen heraus. „Besonders deine Liebe zu mir.”
    „Und doch hast du dich dagegen gesträubt.” Seine mitternachtsblauen Augen funkelten im Mondlicht.
    „Das habe ich.”
    „Verständlich.” Krähe bewegte die Flügel. „Bei den meisten Menschen bin ich nicht sonderlich behebt. Andererseits bist du auch nicht wie die ,meisten Menschen’. Um ehrlich zu sein, deine Ablehnung hat etwas wehgetan.”
    Rhia verzog das Gesicht. „Bitte vergib mir”, flüsterte sie. „Ich vergebe dir. Wenn es das letzte Mal war.”
    „Das war es.”
    Sein Blick war gleichsam weise und traurig. „Vielleicht. Lass uns weitergehen.”
    Sie schritten voran. Die Bäume wuchsen dichter beieinander, bis ihr Dach fast alles Licht des aufgehenden Vollmondes verdeckte. An der Position des Mondes konnte Rhia erkennen, dass sie sich in der wirklichen Welt befanden, und doch verlieh die Anwesenheit von Krähe dem Wald den Hauch einer anderen Welt. Als ihre Umgebung ihr immer weniger vertraut war, trat sie näher an den Geist

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