die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
zuckten mit jedem Heben und Senken ihrer Stimme, aber ansonsten blieb die Kreatur bewegungslos. Sie stieß einen tiefen, klaren Seufzer aus.
Rhia trat einen Schritt vor, dann noch einen ... nur um den Wolf näher zu betrachten, sagte sie sich selbst. Je näher sie kam, desto misstrauischer wurde sein Blick, bis er sich aufsetzte und p>sich einige unsichere Schritte in den Wald zurückzog. Er drehte sich um und sah sie noch einmal an, diesmal ihr Gesicht. Ihre Blicke begegneten sich.
Rhia vergaß ihre Argumente dafür, das Essen zu behalten. Sie vergaß den Hunger, der an ihrem Magen nagte und ihr die Kraft aus den Gliedern saugte. Sie vergaß die Angst, dass tagelang niemand kommen würde, um sie abzuholen, vielleicht nie, und sie sich im Wald verirrte, bis sie verhungerte. Sie vergaß alles – bis auf das Verlangen in den Augen des Wolfes. Kurz entschlossen warf sie das Essen auf den Boden.
Der Wolf sprang so schnell herbei, dass Rhia zusammenzuckte und sich ein kurzes Aufschreien verkneifen musste. Er schluckte die ersten drei Streifen des Wildfleisches, packte die anderen und preschte zurück in den Wald. Innerhalb von Augenblicken war er verschwunden.
Voller Furcht sah Rhia sich um. Es war dunkel. Sehr dunkel. Eine dicke Wolkendecke verbarg den Mond. Jetzt würde sie niemals mehr genug Holz finden, um ein Feuer zu entzünden, das die ganze Nacht brannte.
Rhia tastete unter den Bäumen, bis sie einige Zweige und Äste gefunden hatte. Sie entfachte ein kleines Feuer, das mehr Licht als Wärme spendete, aber wenigstens half es ihr, ein sicheres Lager zu finden. Auf der Suche nahm sie kleine Schlucke aus dem Wasserschlauch, den Galen ihr dagelassen hatte.
Eine Gruppe kleiner Fichten stand etwa zwanzig Schritte vom Feuer entfernt. Ihre niedrigsten Äste schufen einige Handbreit über dem Boden eine Art Dach. Es war kein so sicheres Lager wie der Findling, bei dem sie die letzten Tage verbracht hatte, aber dorthin zurück würde sie den Weg niemals finden. Außerdem hatte Krähe ihr aufgetragen, hier auf Corannas Boten zu warten. Sie musste dem Geist noch mit ihrem eigenen Leben vertrauen. Besonders mit ihrem Leben.
Rhia legte eine der Wolldecken auf das weiche Bett aus Nadeln, kroch dann unter die Zweige und wickelte die andere Dep>cke eng um sich, bis sie sogar den Kopf bedeckte. Sie atmete durch den Stoff ihrer Fäustlinge, um die Hände zu wärmen.
Die zwei schlaflosen Nächte ihrer Weihung wogen schwer auf ihrem Körper, nicht einmal die Angst konnte sie wach halten. Zitternd sah sie dabei zu, wie das Feuer zu einem Haufen Glut verlosch, bis alles dunkel wurde.
Blicke waren auf sie gerichtet.
Etwas bewegte sich im Wald und kam näher und näher. Dorthin, wo Rhia lag.
Ihre Muskeln fühlten sich erfroren an. Sie horchte angestrengt in die Dunkelheit auf jedes Geräusch, das ihr die Richtung des Wesens verriet. Es schien erst hinter ihr, dann weit vor ihr zu lauern. Sie setzte sich auf und starrte in die Lichtung, die ab und an von Mondlicht überflutet wurde, wenn die Wolken aufrissen und über den Himmel wanderten.
Nadeln auf dem Waldboden schienen sich zusammenzudrücken, ohne dass etwas sie berührt hatte.
Es kam auf sie zu. Ihr Atem blieb ihr in der Kehle stecken. „Wer...”
Die Zweige hinter ihr raschelten. Etwas Pelziges packte sie und hielt ihre Arme fest. Eine Hand bedeckte ihren Mund, und eine Stimme knurrte: „Bitte nicht schreien.”
14. KAPITEL
R hia versuchte, sich zu wehren, versuchte, den unsichtbaren Feind zu schlagen, aber sie war fester gefangen als eine Fliege im Spinnennetz. Wütend stieß sie eine unzusammenhängende Tirade gegen die Handfläche aus, die auf ihrem Gesicht lag.
„Ruhig, kleine Krähe”, sagte eine Stimme. „Du hast auf mich gewartet.”
Rhia hörte auf zu zappeln. „Mmmph mhphmm?
„Was immer du gesagt hast, ja. Ich komme von Coranna. Mein Name ist Marek.” Der Mann ließ sie los.
Rhia drehte sich um und sah – nichts. Nur der kalte Wind umgab sie. Hilflos fuchtelte sie mit den Armen und stieß gegen etwas Weiches.
„Au”, sagte es.
„Wer bist du?”
„Ich habe doch gesagt, ich bin Marek. Coranna hat mich geschickt.” Die Stimme war weich und leise. „Ich hoffe, du bist Rhia.”
Ohne ihm zu antworten, sagte sie: „Wo bist du?”
„Ich bin genau hier, so wie du.” Er berührte ihren Arm, und sie zuckte zusammen. „Es tut mir leid. Ich bin unsichtbar.”
„Das sehe ich. Oder vielmehr, ich sehe es nicht. Kannst du damit aufhören?
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