Die Seelenzauberin - 2
Straße dort passierbar sein wird.«
»Wie könnten wir sonst vorgehen?«
Zur Hölle mit den Alkaliern , dachte er, während er abermals Favias’ Kartensammlung durchblätterte. Sogar ihre Berge machen einem das Leben schwer. Endlich fand er eine Anschlusskarte für die Region gleich östlich von ihnen. Dort war ein Weg eingezeichnet, der sich parallel zu ihrer jetzigen Route durch ein langes, schmales Tal schlängelte und geradewegs zu Alkals westlichstem Speer führte. »Hier. Das ist der wichtigste Zugangsweg der Alkalier. Den würden ihre eigenen Hüter benützen, wenn sie denn ihre Arbeit täten. Es sollte nicht allzu schwierig sein, dort hinüberzukommen.«
Namanti schwieg lange. Rhys erriet, was sie dachte. Skandir und Alkal waren nicht unbedingt Freunde, was nicht weiter verwunderte. Schließlich waren sie Rivalen gewesen, bevor die Speere vom Himmel fielen. Seit sie der Wille der Götter zur Zusammenarbeit zwang, vermieden Alkal wie Skandir jede offene Feindseligkeit, aber es war kein Geheimnis, dass sie über die Situation nicht glücklich waren. Namanti hatte den Auftrag in gutem Glauben übernommen und war bereit, bei Bedarf als Dolmetscherin zu dienen, aber Rhys war überzeugt, dass sie insgeheim hoffte, keinem Einheimischen über den Weg zu laufen. Ihm selbst erging es nicht anders, wenn er ehrlich war. Und wenn sie die Alkal-Route nahmen, mussten sie zwangsläufig mit solchen Begegnungen rechnen.
Aber so hoch im Norden werden wir nur auf Heilige Hüter treffen , dachte Rhys. Wer sonst hätte einen Grund, hier herauf zu kommen? Und mit Hütern können wir uns einigen.
»Schön«, sagte sie endlich. »Dann eben die Alkal-Route.«
Er schaute nach dem Stand der Sonne. Nur ein einsamer Habicht kreiste hoch über ihnen und suchte in der öden Landschaft nach Beute, sonst war der Himmel leer. Ich wünschte, wir wären auch da oben , dachte er, dann könnten wir sehen, was vor uns liegt. »Wir können vor Einbruch der Dunkelheit noch ein gutes Stück vorwärtskommen«, erklärte er endlich. Im Sommer waren die Tage im Norden lang, das erleichterte das Reisen, aber manchmal bekam man nicht genug Schlaf, um sich wirklich ausgeruht zu fühlen. Auf der anderen Seite des Heiligen Zorns sollte es Gegenden geben, wo die Sonne monatelang nicht unterging, sondern Tag und Nacht den Himmel beherrschte. Danach senkte sich angeblich ebenso lange eine unnatürliche Finsternis über das eisige Land. In solchen Regionen konnten keinerlei Pflanzen gedeihen, ebenso gab es keine Tiere, die sich von ihnen ernährten. Das war einer der Gründe, warum die ersten Protektoren die Seelenfresser in den hohen Norden abgedrängt und dort eingeschlossen hatten. Wenn monatelang keine Sonne auf ihre Schwingen schien und sie kein lebendes Futter fanden, mussten sie doch zugrunde gehen.
Ganz so sicher war das offenbar doch nicht gewesen. Denn kaum waren die Speere vom Himmel gefallen, als die Götter auch schon verkündeten, die Menschen müssten über sie wachen und ihre Waffen bereithalten, denn eines Tages würden die gefürchteten Ungeheuer zurückkehren. Was also wussten die Götter über die Seelenfresser, das den Hütern verborgen blieb? Nicht einmal die Seher hatten Licht in dieses Geheimnis bringen können, obwohl Generationen von ihnen ihre Lebensenergie dafür geopfert hatten.
So viel Wissen ging in der Frühzeit verloren , dachte Rhys. Ich wünschte, wir hätten die Aufzeichnungen damals schon mit der gleichen Sorgfalt geführt wie heute!
Was das anging … Er zog eine der Schreibtafeln hervor, die sie mit sich führten, schlug die Holzdeckel über den glatten Wachsschichten auf und begann, die Landschaft zu zeichnen, die vor ihnen lag. Mit flinkem Knochenstift ritzte er Bilder in eine Wachsfläche und schrieb Erläuterungen dazu. Später würden die Archivare daraus eine richtige Karte mit der zugehörigen Beschriftung anfertigen. Zunächst schrieb er einfach alles nieder, was eventuell von Bedeutung sein mochte, die Sachkundigen würden Wichtiges und Unwichtiges schon zu trennen wissen. Nachdem so lange kein Hüter diesen Ort mehr besucht hatte, wagte er nicht, irgendetwas wegzulassen.
Mit einem letzten Blick zum Himmel – und einem Abschiedsgruß an den einsamen Raubvogel, der hoch über ihm kreiste – schwang er sich wieder in den Sattel und suchte zusammen mit Namanti einen Weg über die Berge ins östliche Tal.
Die Mauer war nicht natürlich entstanden.
Kamala konnte an nichts anderes denken, während sie
Weitere Kostenlose Bücher