Die Seelenzauberin - 2
konnte sie ihm die Krone aufsetzen, ohne sich strecken zu müssen.
Dann nahm sie die neu bestickte Stola ab, die sie um den Hals trug – sie war so lang, dass sie ihr bis zu den Knöcheln reichte –, und legte sie ihm um. Vor dem strahlenden Weiß seines Gewandes wirkte das Gewebe mit den dichten Goldfäden noch dramatischer. »So nimm denn hin die Stola des Danton Aurelius und empfange mit ihr die Lehren der Geschichte.«
»In diesem Sinne will ich sie tragen«, versprach Salvator.
Sie winkte den Dienern, die ihr den Mantel abgenommen hatten; nun legten sie ihn über Salvators Schultern und banden die Goldschnüre vor seiner Brust zusammen. »So nimm denn hin den Mantel des Danton Aurelius und empfange mit ihm den Auftrag zur Rechtsprechung.«
»In diesem Sinne will ich ihn tragen«, respondierte Salvator.
Zuletzt streckte sie die Hand aus, und ein Diener reichte ihr Dantons Schwert. Die edelsteinbesetzte Scheide glitzerte, als sie die Waffe an ihren Sohn übergab. »So nimm denn hin das Schwert des Danton Aurelius und empfange mit ihm die Ermächtigung zum Krieg, verbunden mit der Hoffnung auf Frieden.«
»In diesem Sinne will ich es tragen«, gelobte er und ergriff das Schwert mit beiden Händen.
In diesem Moment sah er wahrhaftig aus wie ein König! Sie wünschte, Danton hätte ihn so sehen können. Er wäre stolz gewesen.
Endlich trat sie auch vom Thron zurück. »So nimm denn hin den Thron des Danton Aurelius«, sprach sie feierlich, »und empfange mit ihm die Herrschaft über das Großkönigtum mit allen seinen Ländereien, seinen Menschen und seinen Vorhaben.«
Er bestieg das Podest, drehte sich um und ließ sich in dem großen geschnitzten Sessel nieder. »Hiermit erhebe ich Anspruch auf das Reich meines Vaters«, sagte er.
Nun blieb nur noch eines zu tun.
»Die Erben des Hauses Aurelius sollen entscheiden, ob du würdig bist«, sagte sie.
Nun traten seine Brüder und Schwestern vor ihn hin und knieten nieder. Einer nach dem anderen bestätigte ihn als Herrscher über das Reich ihres Vaters. Einer nach dem anderen verzichtete öffentlich auf alle eigenen Ansprüche auf Dantons Thron und gelobte, ihn, Salvator, zu unterstützen und ihm in Treue zu dienen. Für die meisten war das lediglich eine Formalität, doch bei Valemar suchte Gwynofar misstrauisch nach Anzeichen dafür, dass er insgeheim der Meinung war, sein weltfremder älterer Bruder hätte die Staatsführung besser ihm überlassen. Aber sie fand nichts dergleichen. Als Letzte traten der Erzprotektor Keirdwyn und seine Gemahlin vor. Sie brauchten zwar nicht niederzuknien und ihm den Treueeid zu schwören, aber sie erklärten doch in aller Form, ihren Enkel in seiner neuen Funktion anzuerkennen.
Es war vollbracht.
Zu beiden Seiten des großen Zeltes schmetterten die Fanfaren. Der Herold rief mit seiner klangvollsten Stimme den neuen Großkönig aus. Salvator verhielt sich so souverän, als hätte er sich seit vier Jahren auf diesen Augenblick vorbereitet, und nun sah er seinem Vater so ähnlich, dass Gwynofar kaum die Tränen zurückhalten konnte. Noch nicht , ermahnte sie sich. Bald darfst du dich an einen stilleren Ort zurückziehen und kannst nach Herzenslust weinen.
Der letzte Aufruf schallte durch das Zelt. Wer von den Vasallen Salvator huldigen wollte, bekam jetzt Gelegenheit dazu; auch die Verbündeten, die ihre Verträge offiziell bestätigt sehen wollten, durften vortreten. Eine solche öffentliche Aufforderung zur Anerkennung des neuen Monarchen wäre unter anderen Umständen ein großes Wagnis gewesen. Doch Gwynofar hatte im Vorfeld mit einer stattlichen Zahl von Adeligen vereinbart, wie sie darauf antworten würden, und so war die Gefahr einer Blamage gering. Wenn erst ein Dutzend Fürsten vorgetreten waren, um Salvator in seinem neuen Rang zu bestätigen, konnten sich die anderen nicht mehr verweigern, ohne den Herrscher in aller Öffentlichkeit zu beleidigen. Wer immer seine Zweifel hatte, ob ein frommer Einsiedler zum Herrn über Dantons Reich geeignet war, musste sie vorerst für sich behalten.
Dennoch beobachtete Gwynofar aufmerksam die Gesichter einiger wichtiger Persönlichkeiten, und erst als auch der Fürst von Corialanus vortrat und in aller Ergebenheit seine Glückwünsche vorbrachte, wagte sie aufzuatmen.
Er wird es schaffen , dachte sie, und zum ersten Mal seit Wochen löste sich ein Knoten in ihrer Brust. Alles wird gut …
Der Himmel war schwarz, nur ein Mond zog inmitten eines Sternenfelds seine Bahn.
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