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Die Seelenzauberin - 2

Die Seelenzauberin - 2

Titel: Die Seelenzauberin - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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schwer, wie Danton selbst es gewesen war, und es stand auf einem zweiten kleineren Podest so hoch über den Gästescharen, dass man es auch von der hintersten Reihe aus noch sehen konnte.
    Dann war es so weit.
    Eine Schar von Trompetern, die sich an der Längsseite des großen Zelts aufgereiht hatte, schmetterte ein grelles Fanfarensignal. Augenblicklich verstummten alle Gespräche. Ein Herold mit dem doppelköpfigen Habicht auf dem Wappenrock trat vor und stieß drei Mal mit seinem Stab gegen das Podest. Die Schläge dröhnten durch den sonnigen Raum. Er wartete, bis alle Augen auf ihm ruhten, dann verkündete er mit einer Stimme, die mühelos bis in den letzten Winkel des Zeltes drang: »Ihre Königliche Hoheit, Tiresia Aurelius Signaste.« Eigentlich sollte nun eine lange Reihe von Titeln folgen, aber die spielten am heutigen Tag keine Rolle. Wer auf dem königlichen Podest saß, war mit Salvator blutsverwandt und gehörte zur Familie des verstorbenen Großkönigs. Und nur darauf kam es an.
    Gwynofars jüngste Tochter betrat das Zelt durch den hinteren Eingang und schritt am Arm ihres Gemahls durch den Mittelgang. Sie hatte die zierliche Gestalt ihrer Mutter geerbt, aber ihre aufrechte Haltung und ihre Ausstrahlung hätten ihren Vater mit Stolz erfüllt. Das Paar hatte etwa die Mitte des Ganges erreicht, als das nächste Familienmitglied – Chestia Aurelius Casca – ausgerufen wurde und seinerseits durch den Gang schritt. Sobald Gwynofars Töchter das Königspodest erreichten, gaben die Ehemänner ihre Hände frei und ließen sie alleine zu ihren Plätzen emporsteigen. So war es seit Jahrhunderten der Brauch, wenn im Hause Aurelius eine neue Generation die Führung übernahm.
    Gwynofar verdrängte die Erinnerung an all die Todesfälle, die diese Zeremonie erforderlich gemacht hatten, und beobachtete stattdessen ihren vierten Sohn Valemar, der als Nächster aufgerufen wurde. Sie bemühte sich auch, nicht an die Beisetzungsfeierlichkeiten für Danton, Rurick und Andovan und die darauf folgende dreitägige Staatstrauer zu denken. Hunderte von Menschen waren hinter den polierten Särgen hergezogen, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Die Leichen waren von Hexen und Hexern wiederhergestellt und konserviert worden, sodass alle drei so aussahen, als wären sie nicht von ihren eigenen Angehörigen und Gardisten grausam ermordet worden, sondern friedlich eingeschlafen. Gwynofar war vom Leid jener Wochen völlig überwältigt gewesen. Sie hatte nächtelang herzzerreißend geweint und sich nichts sehnlicher gewünscht, als endlich aufzuwachen und festzustellen, dass der Tod ihres Gemahls und ihrer Söhne und der Flug des Seelenfressers nichts anderes gewesen wäre als ein böser Traum!
    Doch heute musste sie die Trauer hinter sich lassen. So war es Brauch im Hause Aurelius, und obwohl es Gwynofar sehr schwerfiel, erkannte sie doch an, wie viel Weisheit hinter dieser Tradition stand. Das gemeine Volk konnte sich erlauben, in der Vergangenheit zu leben, doch der Monarch hatte nach vorne zu schauen, um Schwierigkeiten zu erkennen und sich dafür zu wappnen. Größere Reiche als Dantons Großkönigtum waren schon zerfallen, wenn ihre Herrscher diese einfache Regel vergaßen. Oder wenn auch nur der Anschein entstand, als hätten sie sie vergessen.
    Als Nächste wurden Gwynofars eigene Eltern ausgerufen, der Erzprotektor Keirdwyn und seine Gemahlin. Ein hochgewachsenes Paar von natürlicher Anmut und Vornehmheit, das lächelnd Arm in Arm durch den Gang schritt und schließlich seine Plätze an einer Seite der Aurelius-Nachkommenschaft einnahm. Welch ein Unterschied zu Dantons habichtsgesichtiger Brut! Manchmal hatte Gwynofar den Verdacht, Danton hätte sie nicht nur aus politischen Erwägungen zur Braut genommen, sondern um den harten Zügen seines Geschlechts etwas mehr Lieblichkeit zu verleihen.
    Und dann war die Reihe an ihr.
    »Ihre Majestät, die Großkönigin Gwynofar Keirdwyn Aurelius.«
    Langsam durchschritt sie, den Saum ihres langen Festgewandes und des Prunkmantels hinter sich herschleifend, den Gang. Ehrengardisten in Uniform marschierten zu beiden Seiten neben ihr her. Wo sie vorüberkam, wurden die Köpfe gesenkt, aber sie schaute nicht nach rechts oder links, sie blickte nicht einmal nach unten, als sie ihre Röcke raffte, um das Podest zu besteigen. Ein Diener trat vor, nahm ihr den Prunkmantel von den Schultern und trat damit in die Schatten zurück. Sie setzte sich. Der Stuhl war für Dantons mächtigen

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